Dienstag, 23. Januar 2007

Der perfekte Tag

Vor gut einem Jahr sandte mir ein Mädel eine E-Mail, in der es um den perfekten Tag für einen Mann bzw. für eine Frau ging. Wer diese Tagesabläufe nicht kennt, sollte sie sich einmal besorgen und dann lesen, denn sie bürgen viel Freude in sich.

Ich erlebte nunmehr vor kurzem meinen eigenen perfekten Tag. Nicht wie in „Wolkenlos“ auf VOX, nein, eher wie die letzte Schlacht in „Platoon“. Der ganze Schlamassel am vorherigen Mittwoch begann mit dem fehlenden Klopapier. Nicht, dass keines da war, nein, aber es war nicht auf der Rolle, wo es hingehört. Da hatte doch glatt jemand vergessen, nach seinem letzten Gang, die Rolle aufzufrischen. Nun ist es keineswegs so, dass man deshalb gleich die Nerven verlieren und sich wieder für den Rest des Tages ins Bett legen sollte. Aber es ist auch nicht gerade die Traumsituation, die den Start meines Tages darstellen soll. Ich war mithin misstrauisch geworden. Wie sich herausstellen sollte zurecht.

Es ging nach der Zwischenstation Küche, in der ich wieder mal zu viele Haare meines Mitbewohners und seiner Freundin fand, zum Seminar „Syntax“. Der werte Professor begrüßte noch eine Woche vorher nur 15 Studenten. An jenem ominösen Mittwoch waren es über zweihundert. Ich saß hinten in der Ecke und wie selbstverständlich war mein hochklappbarer Tisch defekt.

Um mich von dieser Situation zu erholen, ging ich mit einem guten Mann, der einzige Leidensgenosse, mit dem ich Germanistik und Sport studiere, zu ihm nach Hause. Denn die nächste Vorlesung lag in zweistündiger Ferne. Bei ihm angekommen, wurde mir wieder gewahr, dass ich zur Zeit weder eine Frau habe, die so hübsch und intelligent ist, dass ich mit ihr zusammen wohnen möchte, noch so viel Talent am Fotoapparat besitze, wie ich stets zu glauben hoffte.

Bei der nachfolgenden Vorlesung auf dem Fensterbrett sitzen zu dürfen, war eine logische Schlussfolgerung der vorangegangenen Ereignisse. Auch die Busfahrt hatte noch ein kleines Präsent für mich bereit, weil ganz und gar lustige Menschen einen Kaugummi auf den Stuhl geklebt hatten. Dieser verweilte dann an meiner Hose und ich dachte schon zu diesem Moment an Handgranaten. Hier war der Kulminationspunkt jedoch noch lange nicht erreicht, da ich zunächst feststellen durfte, dass auf meiner Exkursionstour im Sommer weder Erholung noch fantastische Aussichten im weiteren Sinne auf dem Programm stehen würden. Wahrscheinlich war der leitende Professor früher Kampfschwimmer bei der Volksmarine oder ähnliches. Denn er sprach von einem zwanzig Kilometer langen Marsch den wir unternehmen werden, als ob er mal kurz eine Runde um den Block geht.

Was diesen Tag aber zu dem machte, was er jetzt ist, folgte im Anschluss, bei einer kurzen Ausruhpause vor dem Institut auf einer Holzbank. Meine liebe Exfreundin hatte zwei Tage zuvor angerufen und wollte mir etwas mitteilen, aber da ich ungern am Anfang eines Videoabends den stressenden Typen spiele, der den halben Film zerquatscht, sagte ich ihr, ich würde sie zurückrufen. In jener eben erwähnten Pause war der Moment gekommen, in dem ich die von mir ungeliebte Faselfunke nahm und dem kleinen Mann, der in meinem Handgerät arbeitet, befahl, die richtige Nummer zu wählen. Das Männchen tat es und schon eine kurze Ewigkeit später krachte mir ein Apfel, der just gegessen wurde, ins Ohr. „Tschuldigung, Du, aber ich esse gerade einen Apfel.“ Ich konnte froh sein, dass es nur ein Apfel war, aber dies wurde mir erst nach dem Gespräch klar.

„Wollen wir uns am Wochenende mal wieder sehen? oder „Tut mir leid, dass ich mich fast zwei Monate nicht gemeldet habe.“ Dies wären Sätze gewesen, die ich erwartet habe, aber es drangen folgende Worte in ungefährer Reihenfolge an mein Ohr: „Bevor wir uns das nächste Mal sehen, wollte ich dir nur sagen, dass ich jemanden kennen gelernt habe. Ich habe also wieder einen Freund. Hast Du damit ein Problem?“ Ich Idiot sagte dann auch noch in etwa: „Nee, kein Problem, lass mal bitte trotzdem treffen.“ Was man im Affekt nicht so alles tut. Vor Gericht wäre ich fein raus. Was hätte ich denn sagen sollen: „Falsch verbunden, Telefonstreich!“ Oder lieber: „Toll, freut mich, echt. Er ist bestimmt ein ganz Großer. Bestimmt auch eher aus deinem Berufsfeld. Bestimmt intelligenter als ich und ein guter Sportler.“ Respektive: „Nein, ich habe kein Problem damit, dass du, der ich einst in meinem jugendlichen Leichtsinn gesagt habe, ich würde dich gern einmal heiraten, mir per Telefon mitteilst, du hättest jetzt einen Neuen.“ Vielleicht auch: „Nein, ich habe kein Problem damit, dass der letzte Satz bevor du für längere Zeit ins Ausland gingst, lautete: ´Wir machen eine Pause.´ Pausen zeichnen sich bei mir durch einen Anfang aus (klar definiert) und vor allem durch ein Ende. Das ist jetzt auch definiert.“ Gut auch: „Wovor hattest du denn Angst? Mir deine Inkompetenz bei der Äußerung von Gefühlen und neuen Verhältnissen, in einem Brief zu offenbaren? Wusste ich schon vorher.“ Genial: „Du hättest berechtigte Ängste haben können, dass ich mir beim Wirt einen Whiskey bestelle und die Rechnung kommen lasse, wenn du es mir in einer Berliner Kneipe erzählt hättest. Aber per Telefon, das ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Farce.“

Zunächst wollte ich mir eine Flasche Jack Daniel´s hinter die Binde kippen. Aber es gab nur Johnny Walker.

Angetrunken, aber eigentlich noch guter Dinge, ging ich zu einer Vorlesung interdisziplinärer Art. Ich dachte bei mir, dass es ja nun nicht mehr schlimmer werden konnte. Doch weit gefehlt. Ich war bei Denkmalkunde und Landschaftspflege gelandet. Wahnsinn, genau das was ich zu diesem Zeitpunkt gebrauchen konnte. Ein Professor mit Märchenvorleserstimme referierte neunzig Minuten lang über ein Thema, welches einen Toten interessiert und selbst die herumgurrenden Flugratten (herkömmliche Tauben) rissen mich mehr vom Hocker. Mein einziger Antrieb dort hinzugehen, ist dem Onkel Grimm mal zu zeigen, dass wir Sportler einen ordentlichen Vortrag gestalten können, ohne einhundertfünfundzwanzigmal „Struktur“ zu sagen.

Als mein Pegel nach der Vorlesung sprunghaft anstieg und wir noch ein wenig mit dem Beachvolleyball im Park spielten, kerbte sich die Naht des Balls derart in mein Handgelenk ein, dass es aussah, als ob ich mir eine Gabel reingerammt hätte. Da konnte dann auch der Brief, den ich im Suff zu melancholischer Musik schrieb, aber nicht abschickte, nichts mehr anrichten. Denn wegen einer Frau mache ich Dummheiten solcher Art ganz bestimmt nicht. Dazu bin ich viel zu sehr verliebt in das Leben und mich selbst.

Jedenfalls war die Niederlage des FC Bayern München an diesem Abend gegen die arroganten Fußballer des FC Haargel, besser bekannt unter dem Namen Real Madrid nur folgerichtig. Denn an diesem Tag gewannen stets die anderen. Die Bösen.

Im Anschluss an das letzte große Spiel von Stefan Effenberg begaben wir uns noch zu einer Studentenwohnheimparty, bei der ich in die Tür hineinplatzend von einem Mädel als geile Fr(S)au sprach, die als Freundin der Frau bekannt ist, die mir seit geraumer Zeit sehr wichtig ist. Herzlichen Glückwunsch, großer Einstieg in den Abend!

Ach, eine Sache soll nicht unerwähnt bleiben. Von einem Laden mit fantastischen Verkäuferinnen erhielt ich meine neuen Kontaktlinsen auf Krankenkassenkosten, ergo kostenlos. Dafür danke und schöne Grüße an Fielmann, die mich haben jahrelang bluten lassen.

Abschließend lässt sich sagen: Ich werde irgendwann mit meiner großartigen, leider noch nicht existenten Freundin auftauchen, der FC Bayern holt nächstes Jahr die Champions League und es wird Tage wie diesen immer geben. Der Umgang mit ihnen lässt uns vielleicht erwachsen werden.

Karsten Görsdorf, Rostock, April 2002

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