Sonntagabend
Mit zwei Omas, einem Bundeswehrsoldaten und zahlreichen gescheiterten Existenzen im Bus zu fahren ist nichts Besonderes. Aber mit ihnen vorher vierzig Minuten in der Kälte an der Bushaltestelle zu warten schon. So etwas geht natürlich nur an einem Sonntagabend, an dem die Ankunft und Abfahrt von öffentlichen Verkehrsmittel für gewöhnlich noch weniger mit dem Fahrplan zu tun hat als an den restlichen Wochentagen.
Wie muss man sich das in diesen Busfahrerkabuffs vorstellen? Werden dort Wahlen veranstaltet, wer die schärfste Pornosonnenbrille hat? Der Gewinner legt dann den Dienstplan fest, in dem er selber und sein Kumpel Toni nicht mehr vorkommen. Fallen eben zwei „Fuhren“ aus – wen stört es schon! Oder das lustige Schild Betriebsfahrt wird vorne im Sichtfenster eingeblendet. Dann kann Rolf mit seinem Bus neunzig Minuten wie ein Blöder in der Stadt rumfahren und niemand fragt nach seinem Auftrag. Arme Irre, die sich Sätze entlocken lassen, wie: „Ja Schatz, ich bin in zehn Minuten da, ich komme mit dem Bus.“
Der Fall im Tatort ist längst gelöst und der Abspann läuft, da steigt der brave Bürger gerade erst in den übel riechenden Vierachser ein.
Genial sind an einem Sonntagabend natürlich auch die Taschen- und Kofferbesitzer. Erst kommen sie in den Bus nicht rein und beim Rausgehen muss die gesamte Busgemeinschaft mithelfen, was dann die Abfahrt um eine weitere Ewigkeit verzögert. Die verbleibende Mischpoke im Bus nimmt wieder ihre Lektüre auf. Denn jeder liest irgendetwas. Selbst der streng riechende alte Mann, der mit zahlreichen Beuteln und Tüten unterwegs ist, hat noch eine Zeitung ergattert, die er sorgfältig von vorne nach hinten liest. Bei genauerem Hinsehen ist es die FAZ, vom vorherigen Mittwoch. Sekundäre Nutzung von Informationen nennt man das wohl besser nicht. Die Oma liest immer noch in Ken Folketts „Säulen der Macht“, die Bild am Sonntag – die offizielle Nachrichtenagentur Deutschlands am arbeitsfreien Tag – wird genauso häufig gelesen, wie die mitgebrachten und eben noch zugesteckten Liebesbriefe der Zuhausegebliebenen.
Im Prinzip wollen aber nur sehr wenige Leute am Sonntagabend das Haus verlassen. Denn da laufen die besten Filme im Fernsehen und man kann es sich so schön „gemütlich“ machen - mit Kerzenschein und Chips – einfach nur so auf der Couch rumliegen. Ich bin der festen Überzeugung, dass der in vorherigen Generationen fest verankerte Samstagnachmittagssex während der „Mittagsruhe“ ganz klar verschwunden ist und nunmehr auf den Sonntagabend verlegt wurde. Früher kam danach die Sportschau auf der ARD - heute Eurogoals auf Eurosport.
Ich persönlich wollte nur eben was abholen und musste dafür eine Luftlinienentfernung von zwei Kilometern zurücklegen. Ich brauchte dafür geschlagene achtzig Minuten.
Beim nächsten Mal laufe ich.
Karsten Görsdorf, Rostock, Januar 2002
Wie muss man sich das in diesen Busfahrerkabuffs vorstellen? Werden dort Wahlen veranstaltet, wer die schärfste Pornosonnenbrille hat? Der Gewinner legt dann den Dienstplan fest, in dem er selber und sein Kumpel Toni nicht mehr vorkommen. Fallen eben zwei „Fuhren“ aus – wen stört es schon! Oder das lustige Schild Betriebsfahrt wird vorne im Sichtfenster eingeblendet. Dann kann Rolf mit seinem Bus neunzig Minuten wie ein Blöder in der Stadt rumfahren und niemand fragt nach seinem Auftrag. Arme Irre, die sich Sätze entlocken lassen, wie: „Ja Schatz, ich bin in zehn Minuten da, ich komme mit dem Bus.“
Der Fall im Tatort ist längst gelöst und der Abspann läuft, da steigt der brave Bürger gerade erst in den übel riechenden Vierachser ein.
Genial sind an einem Sonntagabend natürlich auch die Taschen- und Kofferbesitzer. Erst kommen sie in den Bus nicht rein und beim Rausgehen muss die gesamte Busgemeinschaft mithelfen, was dann die Abfahrt um eine weitere Ewigkeit verzögert. Die verbleibende Mischpoke im Bus nimmt wieder ihre Lektüre auf. Denn jeder liest irgendetwas. Selbst der streng riechende alte Mann, der mit zahlreichen Beuteln und Tüten unterwegs ist, hat noch eine Zeitung ergattert, die er sorgfältig von vorne nach hinten liest. Bei genauerem Hinsehen ist es die FAZ, vom vorherigen Mittwoch. Sekundäre Nutzung von Informationen nennt man das wohl besser nicht. Die Oma liest immer noch in Ken Folketts „Säulen der Macht“, die Bild am Sonntag – die offizielle Nachrichtenagentur Deutschlands am arbeitsfreien Tag – wird genauso häufig gelesen, wie die mitgebrachten und eben noch zugesteckten Liebesbriefe der Zuhausegebliebenen.
Im Prinzip wollen aber nur sehr wenige Leute am Sonntagabend das Haus verlassen. Denn da laufen die besten Filme im Fernsehen und man kann es sich so schön „gemütlich“ machen - mit Kerzenschein und Chips – einfach nur so auf der Couch rumliegen. Ich bin der festen Überzeugung, dass der in vorherigen Generationen fest verankerte Samstagnachmittagssex während der „Mittagsruhe“ ganz klar verschwunden ist und nunmehr auf den Sonntagabend verlegt wurde. Früher kam danach die Sportschau auf der ARD - heute Eurogoals auf Eurosport.
Ich persönlich wollte nur eben was abholen und musste dafür eine Luftlinienentfernung von zwei Kilometern zurücklegen. Ich brauchte dafür geschlagene achtzig Minuten.
Beim nächsten Mal laufe ich.
Karsten Görsdorf, Rostock, Januar 2002
viasion - 27. Jan, 11:34