Busfahrt nach Berlin

Es begab sich einst, dass ich eine transeuropäische Busreise machen sollte. Start: Stockholm, Ziel: Berlin. Grund war, dass ich mal keine Lust auf Ryanair hatte. Die verkaufen einem Lübeck als Hamburg und Skavsta als Stockholm. Beide Flugplätze liegen locker 1,5 h Busfahrt vom eigentlichen Zielort entfernt. Außerdem war ich noch etwas gnatzig auf die pingeligen Kontrollen am Kartoffelackerflughafen, die mir einen Uhrenschraubendreher abgenommen haben. Vielleicht kann man ja wirklich eine Ryanair-Boing mit so einem Schraubendreher auseinander nehmen. Gnatzig war ich jedenfalls und wollte deshalb Busfahren. Man könnte denken, dass das kein kompliziertes Unterfangen ist, denn schließlich sind die direkten Nachkommen der Postkutsche nicht so schlecht, wie es die Nachrichten über eingeschlafene Busfahrer, abgetrennte Busdächer und von Betonpollern zerstörte Busse einem immer weismachen wollen. Für mich war das Busfahren weniger negativ besetzt, als es vielleicht sein sollte. Im Grunde habe ich noch keinen Bus erlebt, der für Menschen über 1,90 m Körpergröße ausgelegt war. Geschweige denn, solche über längere Zeit zu transportieren ohne schwerwiegende Schäden an den Kniegelenken zu hinterlassen. Mal ganz zu schweigen von den Playmobil-großen Plastikeinzelzellen für den nur all zu natürlichen Harndrang auf Busfahrten, die man nur mit großen Mengen Brüllwasser übersteht. „Wir ham zwa n Klo an Bord, abba watt da rinn kommt, müssen wa die janze Zeit mit rumschleppen, datt riecht nich gut!“ Tolle Erkenntnis! Hilft mir aber nach zwei Flaschen Schwipp Schwapp auch nicht weiter. Ich will auch gar nicht erst von den immer zu heiß oder zu kalt eingestellten Klimaanlagen reden, die garantiert sämtliche Ausdünstungen wunderbar im Bus verteilen. Das alles ließ ich außer Acht und stieg irgendwann Ende Januar 2004 am Stockholmer Zentralbahnhof in den Bus, der mich über Kopenhagen nach Berlin bringen sollte. Sollte! Es kam allerdings anders. Doch der Reihe nach. Irgendwann auf halbem Wege zwischen Stockholm und Kopenhagen geht irgendwas am Bus kaputt. Fragen Sie mich nicht was, ich bin da wirklich unbegabt. Allerdings schien das Teil so wichtig zu sein, dass wir irgendwann eine Stunde vor Kopenhagen liegen blieben. Zur großen Freude aller, die auf den Anschlussbus in Kopenhagen aus waren. So auch ich. Gut, das Teil ist kaputt, wird sicher bald ein Ersatzbus kommen. Eine Stunde später zweifele ich etwas an dem Gedanken. Zwei Stunden später habe ich ihn verworfen. Alle Insassen haben sich bereits ausführlichst die Füße vertreten und es ist ja auch nicht so, dass es im Januar in Dänemark kalt wäre. Ganz Interessierte schauen dem Busfahrer dabei zu, wie er hinten am Motor rum montiert. Für mich sieht das ein bisschen so aus, als versuche er irgendwas aus dem Motorblock rauszubrechen. Schafft er aber nicht. Das muss ihm irgendwie Verdruss bereiten, denn er keift einen hilfsbereiten Insassen so doll an, dass ich mir ernsthaft Sorgen mache, dass diesem nicht gleich große Kullertränen die Wangen herunter laufen. Etliche Stunden später hat es der immer noch keifende Busfahrer doch irgendwie hinbekommen, den Keilriemen so hinzuwuchten, dass der Bus noch bis nach Kopenhagen kommt. Was sich derweilen hinter den Kulissen der Busgesellschaft abgespielt hat, teilt sich nun jedem Insassen nach und nach in Einzelgesprächen mit der Busbegleitung mit. Für mich hält Eurolines eine ganz besondere Überraschung bereit. Okay, der Bus nach Berlin ist weg. Soviel ist klar. Doch dass mein Ziel nun anstelle von Berlin Hamburg heißt, kommt schon etwas überraschend. Schön, denke ich mir. Also nach Hamburg. Es ist ja nicht so, dass ich morgen schon wieder aus Berlin gen Norden mit eigenem Auto unterwegs sein wollte. Es beginnt ein aufgeregtes Herumtelefonieren mit der Familie, die es jetzt irgendwie hinbekommen soll, mich am nächsten Tag in Hamburg abzuholen. Berlin vergessen wir dabei. Es soll dann gleich wieder nach Stockholm gehen. Denn das war das Ziel der Reise: Auto nach Stockholm bringen. Angekommen in Hamburg, lässt mich Eurolines dann zwischen Busbahnhof und Hauptbahnhof in einem feinen Hotel absteigen. Das Erlebnis Busfernreise ist damit beendet. Doch der Abend ist noch jung und Hamburg hat viel zu bieten. Die U-Bahn bringt mich in den Kietz. Ein Ort, über den man nicht viele Worte verlieren sollte, wenn man wie ich erst einmal da war. Am nächsten Morgen, nach einer guten Nacht im gediegenen Hotel und einem viel zu hastig gegessenem Frühstück ist Papa mit dem Auto da und es geht zurück über Kopenhagen nach Stockholm. Diesmal ohne Motorschaden und ohne keifenden Busfahrer. Unterm Strich führte mich die Berlin-Busfahrt nach Hamburg und bescherte mir einen spontanen Abend in der Stadt an der Alster. Doch das nächste Mal fliege ich wieder.

kyniker

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