Sommertrends

Wenn der liebenswürdige, auswärtig lernende Student in seine Heimatstadt zurückkehrt, dann kann es vorkommen, dass er sich nicht heimisch fühlt. Die Eltern sind nicht unter die Brücke gezogen und das Land wird auch nicht von Weißwurscht fressenden Barbaren regiert, aber trotzdem haben sich Dinge verändert. Dabei gibt es doch wesentliche Unterschiede in der Qualität dieser Veränderungen, die ich Ihnen, geneigter Leser, heute mal unter dem Namen „Trends“ näher bringen möchte.

Einer der auffälligsten Trends in diesem zu Ende gehenden Sommer war das Herumschreien. Bürgerinnen und Bürger brüllten sich ohne Sinn- und Verstand an und taten dies in völlig verschiedenen Zusammenhängen. Es wurde berichtet von Geldforderungen, die auf dem Wege Haustür – Fenstersims bebrüllt wurden. Dabei handelte es sich nicht um Beträge in der Höhe von Bestechungsgeldern, die in Köln in Sachen Verbrennungsanlagen geflossen sind, sondern in der sagenhaften Höhe von zehn Euro. Dafür musste die Nachbarschaft natürlich geweckt werden. War man gar so dreist und hat mitten in der Nacht um Ruhe gebeten, wurde einem gleich die Pest oder Schlimmeres an den Hals gewünscht. Nachbarschaftsliebe nennt man so was, wie ich glaube. Auch in öffentlichen Verkehrsmittel hat sich das Rumbrüllen etabliert. Ich meine nicht die Kinder, die es schaffen, 45 Minuten lang in der gleichen Tonlage um ein Eis zu bitten (B-I-T-T-E-E-E-E............ !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!), nein Eltern oder streitende Paare, die sich hemmungslos dem Streit hingeben. Am CDU – Wahlkampftisch spielten sich Dramen ab, so dass ich für die nächsten Wochen kein Theater mehr besuchen muss. Auch das Telefonieren mit dem Handy wegen eines jeden Furzes ist unerträglich geworden. „Wo bist Du denn gerade? Ah, ja kenn ich. Sag mal wollen wir uns heute Abend treffen? Genauen Treffpunkt machen wir dann nachher noch mal aus, ja? Und Zeit? Ja, schreib noch mal ´ne SMS.“ Früher haben es die Leute doch auch geschafft sich zu verabreden ohne sich tausendmal zu konsultieren, oder? Immer beliebter werden auch Klingeltöne, die schon in Kinoklangqualität daherkommen. Übrigens auch in der gleichen Lautstärke. Omas halten übrigens ihr Handy mit der rechten Hand ans linke Ohr. Komplizierter geht es nicht. Ach ´ doch – beim Autofahren, wenn dann auch noch mit dem linken Arm geschaltet wird, ist der Knoten vollendet.

All diese Schauspiele sind zwar kostenlos, aber manchmal gehen sie dermaßen auf den Senkel, dass einem schon Gedanken in Richtung Schwert, Handgranate oder Streckbank für die jeweiligen Delinquenten kommen.

Rein modetechnisch gibt es natürlich auch Trends, die nicht verschwiegen werden dürfen. Am beklopptesten von allen sind Flammen auf Hosen, Hemden und T – Shirts. Ich fühle mich ein wenig versetzt in billige Filme Anfang der 80´er, in denen es Uso war, wie ein verbrennender Heuballen rumzulaufen. Weiterhin für unsere weibliche Bevölkerung ein unbedingtes Muss: Tatoo über dem Hintern. Ich stelle mir in diesem Zusammenhang eine Generation voller Frauen vor, die durch Gewichtsprobleme, just in dieser Zone, ein Quadratmetergroßes bemaltes Stück Fleisch mit sich rumtragen. Viel Spaß dabei. Der eigentliche Sinn des sich „Unterscheiden wollen“ durch einen bemalten Körper wird ad absurdum geführt, weil alle einfallslose Tribals tragen. Uniformität war und ist in Deutschland eben immer noch gefragt.
Ordentlich Panne sind natürlich auch all die Typen, die eine David Beckham – Punkfrisur tragen, obwohl es gar nicht zu ihnen passt.

Der Einheitslook setzt sich natürlich auch in den Clubs dieses Landes durch und trägt zur Langeweile in denselben bei. Die Musikindustrie sollte weniger wegen der Tauschbörsen im Internet jammern (Trend!), sondern lieber wieder was für Qualität tun. Außer einigen löblichen Ausnahmen, auf die ich noch zu sprechen kommen möchte, fragt man sich doch schon, wer diesen Bockmist produziert. Bis auf eine Elvis – Cover Nummer und den Sommerhit von Las Ketchup ist wahrlich nicht viel geblieben von sommerlicher Musikhochstimmung. Ein weiteres Manko in den Clubs ist doch die erschreckend hohe Anzahl an Black – Music – Liebhabern. Klar, die dicken und die nicht tanzen könnenden Leute freuen sich. Man braucht nur ein wenig mit dem Arsch zu wackeln und ein bisschen herumdrehen. Fertig ist der Tanzstil. Ich will nicht behaupten, dass es keine gute Musik in dieser Sparte gibt, aber man muss schon viel Zeit investieren, um dort die Perle vor den Säuen zu retten, oder so.

Um der Langeweile ein wenig Einhalt zu bieten, empfiehlt es sich übrigens, Deutsch mit amerikanischen Akzent zu sprechen. Es ist ein großes Pläsier, aber Achtung: Es wird zur Sucht.

Der einzige Lichtblick in der Clublandschaft und in Deutschland im Allgemeinen in Sachen Frauen sind die Mädels aus Osteuropa. Sprachgewandt, freundlich, witzig, partyerfahren und nicht zu Letzt meistens überragend aussehend sind sie die Schmankerl eines jeden Abends. Kein Stargehabe und keine falsche Art im Umgang mit Männern, davon könnte sich die ein oder andere Schnepfe aus „Mein Gott, uns geht es so schlecht - Deutschland“ eine Scheibe abschneiden. Dazu zähle ich übrigens auch Antworten parat zu haben, die über das leidig gewordene „O.K.“ hinausgehen.

Sportlich und reisetechnisch meine ich den Trend entdeckt zu haben, dass es nicht die Entfernung oder die Ausgefallenheit ausmacht, sondern das Angebot zu Erholung. Auf Mallorca regnet es den ganzen Sommer, in Ägypten wird man entführt und die Türkei habe ich auch in Berlin, Köln, Hamburg und München. Urlaub in Deutschland bringt Ihnen geneigter Leser das Land näher, Sie brauchen sich nahrungstechnisch nicht umzustellen und sogar wenn man es nicht glaubt: Auch in Hessen, Baden – Württemberg und in der Pfalz kann man mit Euro bezahlen. Der absolute Knaller in Sachen Sport ist eindeutig Frisbee spielen. Fast jeder kann es bzw. ist es nicht schwer zu erlernen. Wenn die Scheibe erst einmal mehrere Sekunden unterwegs ist und sogar beim Mitspieler ankommt, ja denn wird man schnell vom Frisbee – Fieber erfasst. Anbändelungsversuche zum anderen Geschlecht können übrigens ganz hervorragend mit ins Spiel integriert werden. Mal sehen was das Training in der Halle über den Winter noch so alles mit sich bringt.

Ich könnte noch viele Trends ausführlich beschreiben, belasse es aber am Ende des Textes mit Aufzählungen:
Sachen kaputt machen bzw. der Trend des Verschleißes. Dinge gehen ohne jede Begründung über den Jordan.

Nachtfahrten durch Berlin, bei denen man die absonderlichsten Gestalten trifft, aber die Stadt so wahrnimmt, wie sie am schönsten ist: Warme Sommerluft oder leichter Nieselregen, Unter den Linden auf den Nachtbus warten und die niemals schlafende Stadt mit guter Musik genießen. Es gibt jetzt sogar freundliche Busfahrer, die auf zu spät ankommende Anschlussbusse warten. Danke!

Praktika nicht zu bezahlen war mir ja bekannt, aber den Bewerber auch noch für sein Engagement zusammenzuscheißen, das war mir neu. So geschehen in Rostock und hoffentlich auch nur dort möglich. In einer Stadt, die nichts außer ihrem Strand in Warnemünde zu bieten hat, kann man natürlich ordentlich auf die Kacke hauen und immer noch nicht begreifen, dass Mitarbeiter die wahre Ressource sind und nicht der Apple Macintosh mit dem Quark Bildbearbeitungsprogramm. Aber viel Spaß in Mecklenburg Vorpommern, wenn der Alterdurchschnitt bei 65 liegt. Dann komme ich noch mal vorbei. Zum Urlaub machen. Übrigens sind Kühlungsborn und Travemünde schöner als Warnemünde.

In Callcentern zu arbeiten ist eine feine Sache. Dort kann man Geld verdienen und mit dem abstrusen deutschen Volk sprechen. Ich habe stets nur kurz in die Verhältnisse meines Telefongegenübers hineingehört und bei 99 Prozent der Leute war ich auch froh darüber. Mein Gott, es ist nicht zu glauben, wie die Leute drauf sind. Beachtlichstes Zitat: „ SPD, was ist das denn?“ Sich voneinander zu trennen war auch ein Trend dieses Sommers. Ich konnte da glücklicherweise entgegensteuern. Dafür Danke!

Tagelang sinnlos Alkohol in sich hineinschütten, ist auch nicht mehr Trend. Es macht keinen Spaß und ist langweilig. Weiterhin ein starker Trend: Ein Bier (am besten Erdingers schwarzes Hefe oder Beck´s) am Abend in der Kneipe trinken. Denn der andere alles bestimmende Trend ist immer noch vorhanden: Der Euro leert die eigene Kasse doch sehr schnell.

Abschließend noch eine Kleinigkeit. Im Grunde genommen bin ich froh, nicht von einem Hinterbänkler aus dem fernen Bayern regiert zu werden, der peinliche Reden hält, auch wenn der kleine Schröder nicht gerade was gerissen hat. Aber bevor ich hier noch den Wahlkampf auseinandernehme und die bekloppten Wahlplakate der Parteien mit all´ ihren Hackfressen darauf verschmähe, lassen Sie uns lieber den Herbst einläuten, mit Sätzen wie diesem: „Heute habe ich eine Kastanie gesammelt.“

Karsten Görsdorf, Rostock und Berlin, Juli bis Oktober 2002

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