Bernds Welt

„Sei schlau – geh´ zum Bau!“ Wer von uns, geneigter Leser, hörte ihn noch nicht, diesen sinnvollen Spruch der Gegenwart? Ich kannte ihn und dachte bei mir: „Warum nicht, was soll schon passieren?“ Einiges.

Ich will mal die These voranstellen, dass sich alle, aber auch wirklich alle, Vorurteile bestätigten, die landesweit über den Bau kursieren. Ich möchte dies im folgenden exemplifizieren. Um den Text nicht unnötig aufzublähen, werde ich in den nächsten Zeilen die Mitglieder des Stammes der Bauarbeiter mit „Bernd“ bezeichnen, da dies zum einen der passendste Name für diese Spezies ist und zum anderen heißt eine nicht unbeträchtliche Zahl von diesen possierlichen Tierchen tatsächlich so.
Zunächst bleibt festzuhalten, dass auf dem Bau grundsätzlich die linke Hand nicht weiß, was die rechte tut. Das kann dann schon mal dazu führen, dass ein „Altbernd“ (langverdienter Mitarbeiter auf dem Bau) den Auftrag gibt, in einem komplett neu renovierten Badezimmer die Tapete abzureißen. Den Gesichtsausdruck vom „Malerbernd“ beim Anblick der nun wieder kahlen Wände werde ich wohl nie vergessen.

Sie dachten immer: „Bauarbeiter, die sind doch alle doof.“ Stimmt.
Aber es gibt auch im Land der Doofen noch Abstufungen. Obwohl es natürlich dann noch innerhalb der einzelnen „Fachgebiete“ Unterschiede gibt, lässt sich verallgemeinernd folgende Reihenfolge festlegen: Die Letzten sind die Maurer (was die wirklich machen, weiß niemand), es folgen die Gerüstbauer (dicke Oberarme, aber auch genauso viele Bretter vor dem Kopf, wie sie täglich transportieren), Dachdecker (die Höhe bekommt eben nicht allen Körperteilen), Trockenbauer (Sauerstoffarmut führt also doch zu Gehirnschwund), Gaswasserscheißetypen (ordentlich Rohre verlegen, wa?), Fliesenleger (hauen die sich eigentlich die Kacheln jeden Abend vor dem Schlafengehen gegen den Kopf?), Maler (immer diese Farbgerüche direkt einzuatmen kann nicht gut sein), Elektriker (o.k., die spielen mit ihrem Leben, die wissen halbwegs was sie tun, sind aber richtig faul). Der eine oder andere Vertreter einzelner Zünfte kann selbstverständlich diese Hitliste stürmen und selbst die Maurer von der Spitzenposition stürzen. Etwas vernachlässigt habe ich bis zur dieser Stelle die Hilfsarbeiter, die in allen Bereichen arbeiten und deren Bandbreite vom Totalidioten bis zum Studenten (Wer das wohl war?) reicht. Allen diesen Menschen muss natürlich bestätigt werden, dass sie von den einfachen Handgriffen, die sie da alltäglich ausüben, richtig Ahnung haben. Ist aber auch verständlich, wenn man jeden Tag genau fünf Handbewegungen auszuüben hat. Die Probleme entstehen erst, wenn was geplant werden muss, also mindestens einen Schritt voraus gedacht werden müsste oder wenn „fachbereichsübergreifend“ gearbeitet wird. Eine ganz schlimme Situation für Bernd, Andi und Co. entsteht auch dann, wenn mal was nicht so ist, wie sonst immer. Sozusagen abweichend von der Norm. Da wird erst mal eine halbe Stunde lamentiert und dann der Meister geholt, der nachfolgend auch nur die Faselfunke zückt, um die Bauleitung zu befragen.

Schlimm sind auch die Sprachprobleme auf dem Bau. Ich meine jetzt nicht das multikulturelle Gespräch zwischen Engländern, Polen und Russen, nein, was mir vorschwebt, sind die Sprachentgleisungen des Sächsischen. Ja, ich hatte das große Glück, dass 85 Prozent der Bernds aus dem tiefstem Erzgebirge kamen. Da man sich aber verständigen muss, habe ich dann schnellstens die Fremdsprache erlernt, weil meine Gegenüber nun wirklich nicht fähig waren, mit mir in deutscher Sprache zu kommunizieren. Dies durfte ich in zwei „Abteilungen“ feststellen, wobei ich sagen muss, dass die Maler, im Gegensatz zu den Gaswasserscheißetypen, wenigstens dem Deutsch noch nahe kamen.

Anfangs hatte ich vier Wochen meinen „Hilfsbernd“ im Malerbereich, wobei unser Einatzgebiet weit vom Streichen und Tapezieren entfernt war. Wir rissen, weichten und kratzten schlichtweg Tapete ab.

Wenn man so ein Einzelschicksal tagtäglich vor Augen hat, dann ist es eben nicht mehr die graue Masse von Bernds. Nicht dass er mir leid tat, aber gewundert habe ich mich schon. Der Mann war Mitte vierzig, wog mindestens 150kg, stank bestialisch und war so richtig doof. Der gute Mann hat mir tatsächlich mal vom “Glöckner von Rotterdam“ erzählt. Beeindruckend!

Völlig vernarrt in seinen Job als Tapetenabkratzer, nahm er mir allerdings auch eine Menge Arbeit ab, wodurch ich ihn in folgenschwere Gespräche verwickeln konnte. Irgendwie kam dann doch raus, dass ich Student bin, was ich eigentlich tunlichst vermeiden wollte, und da hat er jeden Tag mindestens dreißig Mal, wenn mir was um- oder runtergefallen ist, gesagt: „Siehste, weil du studiert hast.“ Das stresst irgendwann. Da habe ich ihm dann als Dankeschön erzählt, wie das so ist, da draußen in der großen weiten Welt. Woraufhin er, wie ich glaube bemerkt zu haben, begriffen hat, wie bescheiden sein Leben gelaufen ist.

Ein ganz besonderer Höhepunkt war für mich herangereift, als ich den kulturellen Mittelpunkt einer jeden Handwerkergruppe betreten durfte: Den Furzwagen. Das sind diese einachsigen, meist dreckig orange oder grün schimmernden Metallwagen mit zweifelhaftem Nummernschild, aus denen Laute klingen, die sonst nur im Tierpark zu belauschen sind. Der lustige Wagen kommt zu seinem Namen, weil es keinen Bernd gibt, der darin nicht seine Flatulenzen loslässt bzw. die des anderen einatmen muss. Außerdem ist im Furzwagen stets der Vorrat an Bier für die nächste Mittagspause angelegt. Denn der Bau ist der einzige Wirtschaftszweig, in dem die Pilssuppe noch zwingend zum Mittag gehört.

Im Furzwagen wird sich in der Frühe getroffen, die Mittagspause verbracht oder einfach mal zwischendurch eine dieser unzähligen Kunstpausen eingelegt, die Bernd nicht nur den Tag verkürzen, sondern den Bau an sich auch so sündhaft teuer gestalten. Würde die Horde von Bernds nämlich nur eine Woche im Monat richtig durcharbeiten, könnte der Preis für Bauvorhaben wahrscheinlich um die Hälfte gesenkt werden. Stattdessen gibt es in der Kalkulation von Architekten sowie Bauherren schon den sogenannten „Berndfaktor“. Gemeint sind damit Ruhepausen exorbitanter Länge, Schlampereien aller Orten sowie Schadensersatzansprüche vom jeweiligen Bundesland, da jede Grünfläche, jeder Baum und Strauch durch mutmaßlichen Zerstörungswillen schlicht dem Erdboden gleich gemacht wird und das Grundwasser durch weggegossene Restmaterialien gründlich versaut wurde.

Ich habe noch nicht berichtet von der animalischsten aller Tätigkeiten des Bernds. Ich spreche nicht vom Gang zum „Dixiklo“, obwohl sich auch dort durchaus tiefe Abgründe auftun können, nein, es soll vom Frauenangeifern die Rede sein. Dieses Hinuntergrölen, Pfeifen oder gar Styroporplattenwerfen auf Frauen jedweden Alters von sechs bis sechzig. Jede Frau wird es wohl schon erlebt haben, aber die wenigsten dürften auf diese plumpe Anmache reagiert haben. Aber Bernd kann noch Wochen danach davon berichten, wenn sich tatsächlich mal eine umgedreht hat, egal ob aus Empörung oder weil sie sich einfach das Gesicht merken wollte von dem Typen, dem sie demnächst eine Horde vollemanzipierter Altjungfern auf den Pelz jagen wird.

Am beeindruckendsten auf dem Bau sind aber die Werkzeuge: Bernds Lieblinge. Ich spreche jetzt nicht von den alltäglichen Teilen, die man auch an der Werkbank des eigenen Vaters finden kann. Nein, was ich im Sinn habe, sind riesige Schlagbohrmaschinen, Sägen und 25kg Vorschlaghammer. Sie heißen bei Bernd entsprechend der Hersteller: HILTI, FLEX, HITACHI oder einfach Klopper.

Lustig ist auch, dass einem diese Teile zwar ausgegeben werden, aber niemand sie erklärt, sofern nötig. Deshalb laufen auch auf dem Bau so viele Bernds, wie die Figuren in Comics, mit nur acht Fingern herum.
Bemerkenswert sind auch die Zeitgenossen, die mit Sportschuhen ihr Unwesen auf dem Bau treiben. Meistens sieht man sie dann am nächsten Tag stark humpelnd oder nie wieder.

Es gilt zu bemerken, dass es auf dem Bau klatsch- und tratschtechnisch weitaus schlimmer zugeht, als bei Omakuchenkränzchengesellschaften. Nachdem die Nachricht die Runde gemacht hatte, dass ich ein Student bin, war es wieder da, das alte Vorurteil: „Die Gelehrten können ja nüscht mit die Hände!“ Den Gegenbeweis habe ich dann mit Aktionen bewiesen, wie etwa lustige zwanzig Säcke mit je 40kg Estrichbeton Inhalt, in die vierte Etage zu befördern oder mit einer überdimensional großen FLEX Regenrinnenrohre aus den frühen 30´ er Jahren abzutrennen. Da hält dann selbst Bernd mal für einen Tag die Fresse, weil er froh ist, dass er diesen Sch... nicht machen muss.

Apropos Bernd: Ich dachte immer, dieser fast kahlrasierte Fitnesstyp mit dickem Oberarm, Ohrring und Wadentattoo, den man in jeder ostdeutschen Disko kaum übersehen kann, ist der wahre Bauarbeiter, doch weit gefehlt. Denn der soeben beschriebene Typ ist auf dem Bau gerade mal dazu da, um Dreck wegzuräumen, den sogenannten Abriss zu bewerkstelligen und Bier zu holen. Keineswegs ist er für irgendetwas Konstruktives zuständig, da dies nur der wahre Bernd darf. Der ist nämlich mindestens 40 Jahre alt und weiß so ungefähr, was zu tun ist, denn er hat ja oft genug zu gesehen.
Überhaupt ergibt sich die Rangliste auf dem Bau nicht nach Leistung und Befähigung, sondern nach Jahren, die man schon dabei ist.

Wenn ich mich jetzt noch über die bekloppten Trockenbauer, die faulen Elektriker, die total inkompetenten Fassadenmaler, die ohne Systematik arbeitenden Maler usw. aufregen wollte, dann bekäme dieser Bericht epische Länge, die Sie, geneigter Leser, sicher nicht entzücken würde. Doch die paar Worte gebe ich Ihnen noch mit auf den Weg:
Wenn Sie mal wieder ohne Verstand und Engagement für einen Hungerlohn zehn Stunden am Tag arbeiten wollen, dann gehen Sie ruhig für ein paar Wochen auf den Bau. Da Sie jetzt aber meinen Bericht gelesen haben und Ihnen nichts anderes widerfahren wird, können Sie es auch sein lassen und statt dessen, so wie ich, mit einem breiten Lächeln an diesem Ort vorbeiziehen, der dem braven Bürger unter dem Namen Baustelle bekannt ist, ich nenne ihn schlicht: Bernds Welt.

Karsten Görsdorf, Berlin, Mai/Juni 2000

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