Wochenendgestaltung der besonderen Art
So bin ich denn am Wochenende erstmals wieder seit vier Wochen nach Hause gefahren. In unsere Stadt - die nach meiner bisherigen Erfahrung die beste im deutschsprachigen Raum ist, um zu leben und um nach Hause zu kommen. Mit dem Zug über Zoo, Friedrichstraße, Alexanderplatz und Ostbahnhof zu fahren, egal ob im Hellen oder Dunklen. Das beeindruckt schon und lässt die Träne in der Knopfleiste fließen.
Am Freitag habe ich dann meine Lieben um mich gescharrt, die gerade da waren, wir haben Geschichten erzählt und dazu Apfelsaft getrunken. Später sind wir dann noch auf ein Hefe in eine Kneipe gefahren. Ebenfalls sehr schön, denn zum ersten Mal saß ich in einer Lokalität, die nicht zu einhundert Prozent zugeraucht war.
Am Sonnabend ging es dann meinerseits endlich mal wieder ins Theater mit meinen Eltern und meinem Bruder. Gegeben wurde Lessings Nathan der Weise auf der ehrenvollen brechtschen Bühne des Berliner Ensemble. Vor ausverkauftem Hause spielten die acht Schauspieler auf den Brettern, die die Welt bedeuten ihre Rollen souverän und zuweilen ergreifend. Bei der Ringparabel, die der weise Jude Nathan dem Muselmann vorträgt, ging der Anspruch nicht verloren, an die Sinnlosigkeiten der immerwährenden Religionskriege hinzuweisen.
Danach traf ich mich, um in der "Alten Kantine" auf dem Gelände der Kulturbrauerei ein wenig dem oft besprochenem Studentenleben zu frönen. Aber dazu kam es nicht. Denn nach einer Einparkeskapade hörten wir im Vorbeigehen am Kesselhaus uns bekannte Bässe und Beats. Es war das "Urban Bass Sound System" am Start und legte die jamaikanischen Rhythmen auf, die den Hörer zu Musikbranchenbegriffen wie Reggae oder Dancehall hinreißen lassen. Genial, denn wir waren wohl monate-, ja jahrelang nicht mehr auf solch einer Tanzaktion der karibischen Art. Eigentlich seit unserem Aufenthalt auf Jamaika nicht mehr. So ging es denn für fünf Euro hinein und was soll ich sagen: Wir waren wohl dafür zuständig, dass der Altersdurchschnitt deutlich nach oben ging. Schade eigentlich, aber nach dem ersten Hefe war das dann egal und zu den derben Bässen wurde das Tanzbein geschwungen, wie damals als ich zum ersten Mal in meinem Leben auf einem Ska - Konzert war und lernte was es heißt, ins Schwitzen zu kommen. Manche der Mädels waren echt hübsch und konnten sich sogar bewegen, aber ich möchte einfach nicht, dass die Mädchen meinem Bruder (14) im Bezug auf das Alter näher kommen als mir (23). So gingen wir dann gegen halb drei nach 150 Minuten durchgeschwitzt wieder hinaus und waren uns in folgenden Überlegungen einig: 1. Das Ende der großen Zeit dieser Art von Musik, muss wohl erreicht worden sein, als wir aus Jamaika wieder heim kehrten und der amerikanische Hip - Hop seinen Raubzug in Europa zu vollenden begann. 2. Wir sind zwar älter geworden, aber die Jungs und Mädels der "Neuen Generation" müssen noch einiges lernen in Sachen Tanzen, Trinken und Feiern. 3. Es tut gut Erinnerungen zu haben, an eine Zeit, als das dicke Hose-Gehabe nicht zwingend zur Kultur des "Weggehens" gehörte. 4. Denke niemals darüber nach, wie sinnfrei Tanzen ist, denn dann kannst Du sofort nach Hause gehen.
Am sonntäglichen Mittag setzte ich mich dann in einen Zug und fuhr wieder nach Rostock zurück. Warum so früh? Nun die Antwort ist leicht gegeben: Der FC Hansa Rostock spielte gegen den FC St. Pauli in einem Punktspiel der Fußballbundesliga. Wenn man nun bedenkt, dass ich ja eigentlich in Rostock geboren wurde, ich auch derzeit hier wohne und es ja auch ein "Ostverein" ist, der eigentlich Sympathie verdient hätte, müsste man annehmen, dass ich auf der Seite der blau-weißen Spieler der Hansa-Kogge gestanden habe. Der aufmerksame Leser bemerkt jedoch die Mehrfach-Konjunktivkonstruktionen im vorangegangenen Satz und schlussfolgert flink: Der Schreiberling stand wohl auf der anderen Seite. Schon im Zug wusste ich wieder wieso. Laut umherpöbelnde, stark nach Bier und Urin stinkende, bierbäuchige und mit gänzlich unkreativen Liedern behaftete sogenannte Fans, ließen dreieinhalbe Stunden Zug- zur Höllenfahrt werden. Das schreiende Kleinstkind vor mir war dagegen die reinste Erholung, zumal das kleine Wesen fähig war, ausdauernder und lauter zu brüllen, als die Fußballkloppis. Schon damals beim Wachschutz mochte ich sie nicht, aber jetzt darf ich sie wenigstens im Stadion beschimpfen und ihnen auch mal den "Effe-Finger" zeigen. Nun gut: Ankunft am Rostocker Hauptbahnhof. Dort warteten auch schon die netten BGS-Kollegen und sorgten für einen reibungslosen Abtransport der Fans in den nächsten Zug. Ein Schelm wer Böses dabei denkt. Ich traf mich dann mit meinen Kompagnons und wir gingen inkognito, will sagen noch ohne Schals, Kapuzensweatshirts offen zu tragen und keinem Kopftuch auf dem Kopf, zu unserem Auswärtseingang. Die heldenhafte Verschmückung des Ostseestadions durch zwei unermüdliche Freibeuter in der Vornacht soll hier Anerkennung finden. Nach einer Leibesvisitation, die nicht einmal im FBI-Headquarter mit dieser Intensität durchgeführt wird, ging es ins Stadion. Ich muss sagen, ich hatte lange Zeit keine Lust mehr in ein Stadion zu gehen. Aber so langsam kommt es zurück und die Flutlichtstimmung tat ihr übriges. So ein St. Pauli-Fanblock muss man sich wie einen Chor vorstellen, dem nie die Lieder ausgehen und der lautstark, aber melodientreu seine Stücke trällert. Wahrlich beachtlich, wie man mit knapp 1000 Kehlen so einen Lärm machen kann und das gesamte Heimmannschaftspublikum zum Schweigen bringen kann. Vielleicht ist die Mannschaft keine Bereicherung für die Bundesliga - die Fans des FC St. Pauli sind es ganz sicher. Einen Spielbericht will ich an dieser Stelle weglassen, nur so viel: Es spielte Not gegen Elend und dass solche Spiele durch zweifelhafte Schiedsrichterentscheidungen bestimmt werden, ist hinlänglich bekannt. So siegte denn Rostock mit 1:0. Von den sich selbst so betitelten Fans der Rostocker Mannschaft, war bis zur Minute als das Tor erzielt wurde nichts zu hören. Es sind und bleiben Schönwetterfans - das haben sie mit ihren Mitstreitern aus Berlin gemein. Wir Pauli - Fans hatten eine Menge Spaß beim Singen der Hymne "You never walk alone" und all´ den unzähligen "Schlachtenbummlerhits". Dass das Fernsehen, namentlich Sat.1, mit seiner Lobhudeleiform der Berichterstattung, aus dem Grottenkick noch eine ansehendliche Partie bastelte, wunderte mich nicht mehr. Aber die Tatsache, dass die Landespolizei sich ausschließlich um Rostocker Blödmänner kümmern musste, hätte Erwähnung finden können. So ende ich mit dem Ausspruch eines meiner Stehplatznachbarn, der einen Kollegen, der sich von den einfallslosen "Auf die Fresse" Rufen von Rostocker Halbstarken hatte provozieren lassen: "Nicht doch, wir sind Paulifans!"
Das wäre schon genug gewesen für ein Wochenende, aber der Sonntagabend hielt noch etwas in der Hinterhand für uns. Denn zwar verlor die deutsche Handballnationalmannschaft in der Verlängerung des Finals der Europameisterschaft gegen den Gastgeber Schweden, aber das soll die bis dahin gezeigte Leistung nicht mindern. Danke für eine Zeit toller Abende mit hochklassigem Handball – made in Germany.
Nachfolgend kam dann erst der Pizzamann und dann das American Football Superbowl - Spiel aus New Orleans. Ich verstehe im Prinzip nichts von diesem Sport, aber die Chearleader sind meist klasse Mädels. Die Vorabpräsentation von abgehalfterten Stars (Paul McCartney) oder psychisch labilen Püppchen (M. Carey) ging mir schon gewaltig auf den Senkel, aber die Halbzeitzelebrierung der Opfer vom 11. September wirkte dann endgültig aufgesetzt, überzogen patriotisch (wie auch Nasenpflaster in US-Flaggendesign) und schlussletztendlich peinlich. Da die schicken Mädels mit kurzen Röcken nicht allzu oft im Bild waren, die Spieler auch eher mit ihren Namen glänzten (Nutten) und die nicht abbrechen wollende Welle von Werbeblöcken auf uns zu rollte, beendeten wir dieses Experiment des Verstehenwollens von amerikanischem Lifestyle im dritten Viertel und ließen den Abend ausklingen, wie es sich in Rostock gehört:
Dönerstand – Doberaner Platz.
Karsten Görsdorf, Janaur, 2002, Rostock
Am Freitag habe ich dann meine Lieben um mich gescharrt, die gerade da waren, wir haben Geschichten erzählt und dazu Apfelsaft getrunken. Später sind wir dann noch auf ein Hefe in eine Kneipe gefahren. Ebenfalls sehr schön, denn zum ersten Mal saß ich in einer Lokalität, die nicht zu einhundert Prozent zugeraucht war.
Am Sonnabend ging es dann meinerseits endlich mal wieder ins Theater mit meinen Eltern und meinem Bruder. Gegeben wurde Lessings Nathan der Weise auf der ehrenvollen brechtschen Bühne des Berliner Ensemble. Vor ausverkauftem Hause spielten die acht Schauspieler auf den Brettern, die die Welt bedeuten ihre Rollen souverän und zuweilen ergreifend. Bei der Ringparabel, die der weise Jude Nathan dem Muselmann vorträgt, ging der Anspruch nicht verloren, an die Sinnlosigkeiten der immerwährenden Religionskriege hinzuweisen.
Danach traf ich mich, um in der "Alten Kantine" auf dem Gelände der Kulturbrauerei ein wenig dem oft besprochenem Studentenleben zu frönen. Aber dazu kam es nicht. Denn nach einer Einparkeskapade hörten wir im Vorbeigehen am Kesselhaus uns bekannte Bässe und Beats. Es war das "Urban Bass Sound System" am Start und legte die jamaikanischen Rhythmen auf, die den Hörer zu Musikbranchenbegriffen wie Reggae oder Dancehall hinreißen lassen. Genial, denn wir waren wohl monate-, ja jahrelang nicht mehr auf solch einer Tanzaktion der karibischen Art. Eigentlich seit unserem Aufenthalt auf Jamaika nicht mehr. So ging es denn für fünf Euro hinein und was soll ich sagen: Wir waren wohl dafür zuständig, dass der Altersdurchschnitt deutlich nach oben ging. Schade eigentlich, aber nach dem ersten Hefe war das dann egal und zu den derben Bässen wurde das Tanzbein geschwungen, wie damals als ich zum ersten Mal in meinem Leben auf einem Ska - Konzert war und lernte was es heißt, ins Schwitzen zu kommen. Manche der Mädels waren echt hübsch und konnten sich sogar bewegen, aber ich möchte einfach nicht, dass die Mädchen meinem Bruder (14) im Bezug auf das Alter näher kommen als mir (23). So gingen wir dann gegen halb drei nach 150 Minuten durchgeschwitzt wieder hinaus und waren uns in folgenden Überlegungen einig: 1. Das Ende der großen Zeit dieser Art von Musik, muss wohl erreicht worden sein, als wir aus Jamaika wieder heim kehrten und der amerikanische Hip - Hop seinen Raubzug in Europa zu vollenden begann. 2. Wir sind zwar älter geworden, aber die Jungs und Mädels der "Neuen Generation" müssen noch einiges lernen in Sachen Tanzen, Trinken und Feiern. 3. Es tut gut Erinnerungen zu haben, an eine Zeit, als das dicke Hose-Gehabe nicht zwingend zur Kultur des "Weggehens" gehörte. 4. Denke niemals darüber nach, wie sinnfrei Tanzen ist, denn dann kannst Du sofort nach Hause gehen.
Am sonntäglichen Mittag setzte ich mich dann in einen Zug und fuhr wieder nach Rostock zurück. Warum so früh? Nun die Antwort ist leicht gegeben: Der FC Hansa Rostock spielte gegen den FC St. Pauli in einem Punktspiel der Fußballbundesliga. Wenn man nun bedenkt, dass ich ja eigentlich in Rostock geboren wurde, ich auch derzeit hier wohne und es ja auch ein "Ostverein" ist, der eigentlich Sympathie verdient hätte, müsste man annehmen, dass ich auf der Seite der blau-weißen Spieler der Hansa-Kogge gestanden habe. Der aufmerksame Leser bemerkt jedoch die Mehrfach-Konjunktivkonstruktionen im vorangegangenen Satz und schlussfolgert flink: Der Schreiberling stand wohl auf der anderen Seite. Schon im Zug wusste ich wieder wieso. Laut umherpöbelnde, stark nach Bier und Urin stinkende, bierbäuchige und mit gänzlich unkreativen Liedern behaftete sogenannte Fans, ließen dreieinhalbe Stunden Zug- zur Höllenfahrt werden. Das schreiende Kleinstkind vor mir war dagegen die reinste Erholung, zumal das kleine Wesen fähig war, ausdauernder und lauter zu brüllen, als die Fußballkloppis. Schon damals beim Wachschutz mochte ich sie nicht, aber jetzt darf ich sie wenigstens im Stadion beschimpfen und ihnen auch mal den "Effe-Finger" zeigen. Nun gut: Ankunft am Rostocker Hauptbahnhof. Dort warteten auch schon die netten BGS-Kollegen und sorgten für einen reibungslosen Abtransport der Fans in den nächsten Zug. Ein Schelm wer Böses dabei denkt. Ich traf mich dann mit meinen Kompagnons und wir gingen inkognito, will sagen noch ohne Schals, Kapuzensweatshirts offen zu tragen und keinem Kopftuch auf dem Kopf, zu unserem Auswärtseingang. Die heldenhafte Verschmückung des Ostseestadions durch zwei unermüdliche Freibeuter in der Vornacht soll hier Anerkennung finden. Nach einer Leibesvisitation, die nicht einmal im FBI-Headquarter mit dieser Intensität durchgeführt wird, ging es ins Stadion. Ich muss sagen, ich hatte lange Zeit keine Lust mehr in ein Stadion zu gehen. Aber so langsam kommt es zurück und die Flutlichtstimmung tat ihr übriges. So ein St. Pauli-Fanblock muss man sich wie einen Chor vorstellen, dem nie die Lieder ausgehen und der lautstark, aber melodientreu seine Stücke trällert. Wahrlich beachtlich, wie man mit knapp 1000 Kehlen so einen Lärm machen kann und das gesamte Heimmannschaftspublikum zum Schweigen bringen kann. Vielleicht ist die Mannschaft keine Bereicherung für die Bundesliga - die Fans des FC St. Pauli sind es ganz sicher. Einen Spielbericht will ich an dieser Stelle weglassen, nur so viel: Es spielte Not gegen Elend und dass solche Spiele durch zweifelhafte Schiedsrichterentscheidungen bestimmt werden, ist hinlänglich bekannt. So siegte denn Rostock mit 1:0. Von den sich selbst so betitelten Fans der Rostocker Mannschaft, war bis zur Minute als das Tor erzielt wurde nichts zu hören. Es sind und bleiben Schönwetterfans - das haben sie mit ihren Mitstreitern aus Berlin gemein. Wir Pauli - Fans hatten eine Menge Spaß beim Singen der Hymne "You never walk alone" und all´ den unzähligen "Schlachtenbummlerhits". Dass das Fernsehen, namentlich Sat.1, mit seiner Lobhudeleiform der Berichterstattung, aus dem Grottenkick noch eine ansehendliche Partie bastelte, wunderte mich nicht mehr. Aber die Tatsache, dass die Landespolizei sich ausschließlich um Rostocker Blödmänner kümmern musste, hätte Erwähnung finden können. So ende ich mit dem Ausspruch eines meiner Stehplatznachbarn, der einen Kollegen, der sich von den einfallslosen "Auf die Fresse" Rufen von Rostocker Halbstarken hatte provozieren lassen: "Nicht doch, wir sind Paulifans!"
Das wäre schon genug gewesen für ein Wochenende, aber der Sonntagabend hielt noch etwas in der Hinterhand für uns. Denn zwar verlor die deutsche Handballnationalmannschaft in der Verlängerung des Finals der Europameisterschaft gegen den Gastgeber Schweden, aber das soll die bis dahin gezeigte Leistung nicht mindern. Danke für eine Zeit toller Abende mit hochklassigem Handball – made in Germany.
Nachfolgend kam dann erst der Pizzamann und dann das American Football Superbowl - Spiel aus New Orleans. Ich verstehe im Prinzip nichts von diesem Sport, aber die Chearleader sind meist klasse Mädels. Die Vorabpräsentation von abgehalfterten Stars (Paul McCartney) oder psychisch labilen Püppchen (M. Carey) ging mir schon gewaltig auf den Senkel, aber die Halbzeitzelebrierung der Opfer vom 11. September wirkte dann endgültig aufgesetzt, überzogen patriotisch (wie auch Nasenpflaster in US-Flaggendesign) und schlussletztendlich peinlich. Da die schicken Mädels mit kurzen Röcken nicht allzu oft im Bild waren, die Spieler auch eher mit ihren Namen glänzten (Nutten) und die nicht abbrechen wollende Welle von Werbeblöcken auf uns zu rollte, beendeten wir dieses Experiment des Verstehenwollens von amerikanischem Lifestyle im dritten Viertel und ließen den Abend ausklingen, wie es sich in Rostock gehört:
Dönerstand – Doberaner Platz.
Karsten Görsdorf, Janaur, 2002, Rostock
viasion - 28. Jan, 11:35
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