Montag, 29. Januar 2007

„Ich bin 24 Jahre und zu alt für so einen Scheiß“

Wer mal eine richtige Studentenstadt sehen will, muss auf alle Fälle Rostock verlassen. Denn diese Stadt mag auf vieles spezialisiert sein (Touristen neppen, bekloppte Einwohner haben), aber bestimmt nicht darauf, die Universität, die Studenten und deren Bedürfnisse zu befriedigen. Daher machten wir uns auf den Weg, die Heimatstadt von Costas zu besuchen: Göttingen. Jedoch muss bemerkt werden, dass wir eigentlich nur wegen der leckeren Wurst aus Göttingen dort hinfuhren und nicht wegen unseres Studienfreundes.

Wer waren die sechs Irren, die an diesem Wochenende ins 47.417 Quadratkilometer große Niedersachsen reisten? Der Gastgeber, zugleich Geburtstagskind: Costas, ein BWLer, der um keinen Spruch verlegene, politisch hoch informierte, stolze Niedersachse. Die Eingeladenen: Joe, Jurist, Jünger der 50´er Jahre, Weltmann aus Hamburg. Leif, im Verlauf der Reise nur noch Albrecht genannt, Sportler, Freestyler in allen Lebenslagen aus Flensburg. Draxter, Sportler, mein Bild vom dummen, aggressiven und rassistischen Schwarzen Mann zerstörender Schweriner. Gregory, in sich ruhender, spendabler Stern – Buchholzer. Meine Wenigkeit.
Freundlicherweise holte uns der Vater von Costas „Heinz“ mit seinem VW T4 - Bus ab. Wir reisten mithin erster Klasse mit einem Kasten Bier und einem ordentlichen Skat – Gedresche. Bis auf den, durch einige Bier, ständig vorherrschenden Drang, ein Pippifax versenden zu müssen, erinnere ich mich an nichts Spektakuläres. Außer der Tatsache, dass schon zu dieser Zeit Sprüche gerissen wurden, die so in keinem Lehrbuch auftauchen.

Wir fielen wie eine Horde Barbaren in die Wohnung ein, verspeisten jedwede Nahrungsmittel, schändeten die Wohnungseinrichtung und vertrieben die rechtmäßigen Besitzer. So jedenfalls muss uns die Mutter von Costas empfunden haben, wie sie uns an unserem Abreisetag auch unmissverständlich klarmachte: „Es wäre schön, wenn ihr nicht wiederkommen würdet.“ (Eigentlich sagte sie dann noch: „Jedenfalls nicht in dieser Anzahl.“ – Aber das schockt nicht so sehr.) Trotzdem darf an dieser Stelle nicht unterlassen werden, die vorzügliche Beköstigung zu loben.

Später am Abend wurden wir von Gunnar abgeholt, an dem vor allem zwei Dinge auffielen: Seine nichtssagende Freundin und seine doch gewöhnungsbedürftige, hohe Stimme. Wir wanderten durch einen Wald und kamen nach einigen Minuten am Zentrum der Party für dieses Wochenende an. Ein Fachwerkhaus sollte uns beherbergen, in dem es unter dem Dach einen Raum für Festivitäten mit einer Bar gab. Den gesamten Verlauf der Party wiederzugeben, scheint mir nicht ratsam und wäre auch überflüssig, denn ein jeder, der jemals eine „Privatparty“ besucht hat, kennt ihn. Lahmender Anfang, Suff, sich langsam anbahnende Gespräche, besser werdende Musik, Suff, einige nicht zu einander passende Pärchen verlassen den Raum, Drogen, Suff, totale Musikverfehlungen, langsamer Aufbruch einzelner, Stress im Sinne einer Klopperei, die meisten gehen, der Rest leert den selbigen, letzte Aufbäumungsversuche, die Lichter gehen aus, Heimweg.
Ich möchte daher nur einige Fragen in den Raum stellen: Wieso säuft jeder in Niedersachsen Korn? Warum sind gut achtzig Prozent der Anwesenden Leute Berufalkoholiker? Warum erzählen die Leute immer die gleichen Sachen, so z.B.: „Mein Sohn, ich habe zum ersten Mal seit über zwei Jahren etwas übertrieben. Ich habe gebrochen.“ Wer prüft die Tatsache, dass Grundschulpädagoginnen alle unterbelichtet sind? Warum labern mich Mädels immer mit ihrem Beziehungskram zu? Wieso rennen die Leute immer mit meiner Sonnenbrille weg? Warum gibt es Leute auf einer Party, die niemand mitbekommt oder sieht? Haben Heimwege eine tiefere Bedeutung? Weshalb sehen Männer im Suff immer so scheiße aus? Wieso essen wir Deutsche so viel Wurst? Was ist der Grund für die exorbitant langen Schlangen vor dem Klo? Die meisten Fragen muss ich wohl an den Vatikan schicken, denn nur der Papst wird da adäquate Antworten finden können.

Nach einem gebührenden Heimweg mit Schlachtenbummlergesängen der befreundeten Fußballclubs, einem spektakulären Sturz, dem Versenden von Pipifaxen im Wald und nochmaligem Herumgrölen kamen wir in unserem Domizil an. Dort spielten sich dann „Szenarien ab, denen ich eigentlich nicht beiwohnen wollte“. Ich sagte dann auch den Satz, der diesem Text die Überschrift gab. Es wurde „Im Räuberwald“ gespielt – ein lustiges Würfelspiel, Stressmanöver gegen schon schlafende Kameraden gefahren, Schlafplatztauschen zelebriert und schlussletztendlich natürlich weiter gesoffen. Das Ende vom Lied war, dass zwei Leute auf dem Teppich pennten, einer gar auf den Kacheln und die anderen verbrachten ihren komatösen Schlaf in den dafür vorgesehenen Säcken. Joe sagte am nächsten Morgen nur noch einen Satz: „Als ich mich zu Albrecht legte.“
Ich erinnere mich nur allzu gut an den Blick der Mutter am nächsten Morgen bei ihrer Heimkehr. Blankes Entsetzen ob der Gestalten, die da rumlungerten.

Auf mein Drängen hin wurde der zweite Tag nicht nur zum Aufräumen und stark an jamaikanische „auf den Sack hauen“ erinnernde Phasen genutzt, sondern auch die nähere Umgebung erkundet. Am Abend machten wir uns in die Innenstadt auf, um den historischen Ortskern zu betrachten. Dazu lassen sich folgende Worte sagen: Göttingen ist wahrscheinlich die einzige Stadt, die wirklich und wahrhaftig nur wegen der Universität existiert. Überall sind Gebäudekomplexe modernerer oder einfach hässlicher Natur zu sehen und nicht zu vergessen: Studentenwohnheime. Ich habe noch nie an einem Tag so oft das Wort ´Studentenwohnheim´ gehört. Göttingens Zentrum ist hervorragend in Schuss und Fachwerkhäuser säumen das Straßenbild. Kein Wunder, denn die Stadt ist ja schon im Einzugsbereich des Harzes. Was mir wieder auffiel: West- und Ostdeutsche Ortskerne unterscheiden sich kaum von der Architektur her. Ein weiterer Aspekt endlich mit dem Ost – West – Gelaber aufzuhören. Nach einem abschließenden Bier in einer ordentlichen Kneipe ging es nach Haus. Dort wurde natürlich ein wenig dem Alkohol gefrönt und die von Frau Mama vorbereiteten Spaghetti verspeist. Während des Essens entgleiste Draxter vollständig und erzählte mindestens einhundert Scherze nach dem Muster: „Was ist 20 Meter lang und richt nach Urin?“ Dafür Danke!

Die Begleiter für den Abend waren Flo und Dörner. Der eine symbolisiert die gebildete Arbeiterklasse von Göttingen, der andere ist der Mann des Wochenendes. Zum ersten hat ihn niemand auf der Party am Freitag gesehen, dann schlief er zweimal mit uns auf der Erde, sagte zuweilen eigenartige Dinge, besprang Leif, war aber sehr hilfsbereit und verhalf uns zu guter Letzt zu einer pünktlichen Abfahrt. Den Abend verbrachten wir dann auf einer Black – Music - Veranstaltung in einem Uni – Gebäude. Anzahl der Studenten, abgesehen von uns: Null. Anzahl der wie immer stressig wirkenden Türken: 1000. Dafür aber auch ein paar recht ansehnliche Mädels, die wir im Schutze unseres großen schwarzen Mannes auch fotografierten. Costas gab sich die Kante und war am nächsten Morgen aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, mit uns die Heimfahrt anzutreten, die eigentlich einen eigenen Bericht verlangen würde. Hier die Kurzen Daten, Fakten und entsprechende Zitate: Fahrtdauer: 6 Stunden und 44 Minuten, Fahrtpreis pro Person 5 Euro 60 Cent, Umsteigebahnhöfe: Uelzen, Hamburg Hauptbahnhof, genutzte Züge: prähistorisches Modell, das wahrscheinlich schon 1835 zwischen Nürnberg und Fürth verkehrte, eine moderne Bahn und von Hamburg aus eine S-Bahn nach Rostock. Wichtige Zitate, die dann zuweilen tausendfach angebracht wurden: „Ist das hier so eine Reisegruppengeschichte, oder was?“ – „Albrecht kocht richtig.“ – „Hör´ auf mit den Karten zu kloppen!“ – „Ich möchte nicht, dass sich hier Szenarien abspielen, denen ich eigentlich nicht beiwohnen möchte.“ – „Wenn uns jetzt die Fahrkarte geklaut wird – dann vergesse ich mich.“ – „Habt ihr Gras?“ – „Dörner“ – „Diese Stadt stinkt nach Pippi und kann nichts!“ – „Herrlich!!!“ - „Ist Dieter Bohlens Machwerk nerviger als wir?“ – Antwort: „Kindergruppen sind noch schlimmer.“

Alles in allem wollte ich nach diesen fast 55 Stunden in Gemeinschaft nur noch alleine sein. Keiner, meine Person inbegriffen, konnte an diesem Wochenende nur mal für eine Sekunde die Fresse halten. Nicht ein Witz, der nicht gerissen wurde, keine peinliche Aktion wurde ausgelassen. Daher nun folgendes Fazit: Dank an Costas für alles was er für uns vor Ort getan hat, inklusive der fantastischen Stadtführung. Göttingen kann für eine Stadt dieser Größe einiges und ist sicherlich eine Alternative in Hinsicht auf ein längeres Studium. Dank an Draxter, der uns am Sonnabend sicher durch die Heerscharen von Türken brachte und keinen noch so bekloppten Witz ausließ. Dank an Leif, der trotz verpasster Liebesnacht ruhig blieb und nur innerlich kochte. Gregory, der wenigstens zuweilen Ruhe hineinbrachte, spendabel daher kam und den schwarzen Mann etwas zur Räson rief. Dank an Joe, der wahrscheinlich einen Sprechanteil von gut 85 Prozent während dieser Tage hatte und unser aller Sprüchereservoir um gute 100 Prozent angehoben hat.

Zu guter Letzt Dank an mich selbst, dass ich zwei Tage Suff, diese durchgeknallten Typen in Niedersachsen sowie in meiner Reisegruppe und sämtlichen hier nicht erwähnten Scheiß überstanden habe, um diesen Bericht schreiben zu können.

Karsten Görsdorf, Göttingen, Rostock, Januar 2003

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