Textgarten

Freitag, 2. Februar 2007

Fußball mal anders III

Fragen wir uns doch mal ehrlich, geneigter Leser, was bringt die Bekloppten und Bescheuerten, nachfolgend Fans genannt, dazu, jede Woche in irgendein Stadion zu gehen?

Zunächst einmal sollte man sich vor Augen halten, dass im professionellen Mannschafts- Zuschauersport Unsicherheit über den Ausgang eines Wettkampfes produziert wird. Dies bedeutet, dass je länger das Ergebnis offen bleibt, desto größer die Attraktivität und Anziehungskraft eines Wettkampfes für die zahlenden Zuschauer. Nur so kann ich mir übrigens den irrationalen Schritt erklären, Mitte der zweiten Halbzeit noch den vollen Eintrittspreis zu löhnen.

Da die schon erwähnte Unsicherheit am ehesten erreichbar ist, wenn alle Mannschaften über gleich gute Spielerqualitäten verfügen, wäre es doch mal ganz witzig, wenn die Spieler der einzelnen Ligen vor der Saison den Klubs zugelost werden.

Spaß beiseite, es ist nun mal so, dass sich die Spannung in unseren Fußballstadien daher aufbaut, dass zwar jeder jeden im einzelnen Spiel schlagen kann, aber nicht jeder Meister werden kann.
Abseits der Unsicherheit über den Ausgang eines Spiels gibt es natürlich noch ganz subjektive Erwartungen, die unser Fußballfan an den Besuch im Stadion knüpft.

Es gilt als Grundlage festzuhalten, dass so ein Sportereignis für den Einzelnen eben nur dann stattfindet, wenn er „da“ ist. In bezug auf Fernseh- und Radioübertragungen wird jeder Fan die folgende Antwort geben: „Das ist doch nicht das gleiche!“

Tja, und wie das so bei Ereignissen ist, ist nichts mehr da, wenn es vorbei ist. Auch wenn der ein oder andere Fan am liebsten bis zum Erlöschen der Flutlichtanlage verbleiben würde, wodurch er sich regelmäßig den Missmut der Ordnungskräfte zuzieht.

Der Einzelne geht also der Illusion nach, angenehme, spannende etc. Stunden zu verbringen, doch er wird nicht mehr erhalten als die Erinnerung an eben eine angenehme oder auch unangenehme Zeit.

Was die Erinnerung bewirkt, bleibt subjektiv, vage, unsicher – beeinflusst aber entscheidend die künftige Nachfrage. Denken wir etwa an die Freude über das Ergebnis, den schwierig zu findenden, überfüllten und teuren Parkplatz, den ungenügenden Einsatz der Spieler, das Zusammensein mit Freunden, das Fallen vieler Tore, das mehr oder minder attraktive Pausenprogramm, Ausschreitungen der Fans, der „persönliche“ Kontakt zu Spielern oder einfach nur die zeitweilige Verdrängung aller Problemfelder.
Manchmal gehen Fans auch nur wegen der Gästemannschaft ins Stadion, um die Stars mal „live“ zu sehen. Aber eigentlich möchten Zuschauer auch ihre eigene Mannschaft siegen sehen. Je höher also auf den Gewinn der eigenen Mannschaft gesetzt wird, desto höher müssten die Zuschauerzahlen sein. Sind sie aber nicht.

Dann gibt es natürlich noch die sogenannten Residualfaktoren, wie: Zeit (Wochenende, Jahreszeit), Zustand des Stadions und die klimatischen Faktoren.

Nicht zu vergessen sind die Unterhaltungs- und Geselligkeitselemente, wie VIP-Logen, in denen man nicht nur besonders gut sieht, sondern auch gesehen wird und durch die man eine soziale Differenzierung zum „normalen“ Fan in der Kurve hervorragend demonstrieren kann. Da wird dann das eigentliche Sportgeschehen zum Inszenierungselement inmitten eines breit gefächerten Erlebnisprogramms degradiert.

Bevor dieser Text jetzt ins Uferlose abtreibt, schließe ich mit der, meiner Meinung nach, einzig absolut richtigen Aussage zum Thema: Was treibt diese Leute dazu ins Stadion zu gehen? – Jeder wird wohl seine höchst eigenen Gründe haben und diese wechseln auch noch von Spiel zu Spiel.

Ich z.B. gehe zum Arbeiten hin.

Karsten Görsdorf, Berlin, Februar 2001

Donnerstag, 1. Februar 2007

Fußball mal anders II

Ich habe weder die Frau aus Zehlendorf kennen gelernt, noch sind mir andere grundlegend positive Dinge widerfahren und so begab es sich, dass ich nun schon wieder zwei Fußballspiele auf die ganz andere Art erleben durfte.

Zum einen durfte ich bei einem drittklassigen „Arbeiterverein“ dessen Zuschauer begrabbeln und hatte auch noch das große Los gezogen dies mit den widerwärtigsten Kollegen zu tun, den mein Arbeitgeber zur Verfügung hatte. Da war erst mal die rothaarige, zwergesgroße Frau, die meinte, sie müsse sich entweder dem „Gruppenführer“ anbiedern oder die Klappe zu halten. Zweiteres wäre mir bei einer Arbeitszeit von fünf Stunden weit aus lieber gewesen. Dann waren da noch zwei Kumpane, die sich von ihren glorreichen Schlägereien im privaten Bereich berichteten und dazu noch die ein oder andere langweilige Geschichte von ihrer noch nicht allzu fern liegenden Bundzeit zu erzählen wussten. Aber eines einte die drei o.g. Kollegen, nämlich ihre große Freude mit Ossis zusammenzuarbeiten. Dieser Freude verliehen sie dann auch ständig und ununterbrochen Nachhalt. Will sagen: Ein Nachmittag in der Kälte, umgeben von Angebern und stupiden Westberlinern, die sich wenn es ihnen nicht passt, doch wieder zu ihrem „piefigen Ku´damm, dem peinlichen Europacenter und der scheißkaputten Kirche“ (D.Wischmeyer) zurückkehren können.

Der andere Verein, bei dem wir Menschen der besonderen Art vor sich selbst beschützen dürfen, hatte auch wieder zum Heimspiel geladen und welch´ Wunder es kam auch jemand. So ungefähr 40.000 Bekloppte und Bescheuerte trieben sich gegenseitig durch die engen Tore, wie Kühe, die zur Schlachtung geführt werden. Aber das einzige, was geschlachtet wird, sind ihre Geldbörsen. Jedem das seine.

Dieses Mal war es nicht die ekelhafte „Vorkontrolle“, auch nicht das Stehen im Block, was Erwähnung finden soll, sondern folgendes. So runde zehn bis fünfzehn Minuten vor Schluss des Spiels betrat ich erstmals die Katakomben des Olympiastadions, was für mich als kritischer Beobachter der Fußballszene schon ein Erlebnis ist. Aber das wahre Erlebnis folgte noch.
Wir zogen vor einen Block und stellten uns dort auf. Nicht nur, dass wir an der Weitsprunggrube vorbeigingen, in die schon Heike Drechsler und Mike Powell gesprungen sind, nicht dass wir über die Bahn gelaufen sind, auf der schon Michael Johnson seine Runde drehte, nein, es war etwas fast Persönliches, das mich ergriff. Da steht man vor ein paar tausend Fans, manche Gesichter sind zu erkennen, die meisten jedoch nicht. Die Heimmannschaft führte und die Fans sangen ihre Lieder. Sehr schön ist auch das Beobachten der Gesichter bevor ein Tor fällt, denn ich stand ja mit dem Rücken zum Spielfeld. Erst ist da die Hoffnung in den Gesichtern, kurze maximale Anspannung und dann bricht alles aus. Unbändiger Jubel der besonderen Art! In den letzten Minuten erhoben sich die Zuschauer, auch wenn nichts mehr passierte, hatte man den Eindruck, als ob viele einfach nur noch auf uns Jungs in den lustigen Ordnerjacken sahen. Den ein oder anderen erfreut man sogar mit einem Lächeln.

So sehr ich diese Fußballfans verabscheue, wenn ich sie in der S-Bahn sehe, sie am Eingang kontrollieren muss, sie an ihre Plätze bringen muss wie die kleinen Kinder, so sehr genieße ich den Anblick, wenn sie, entschuldigen Sie diesen Ausdruck geneigter Leser, als Masse dastehen und einfach nur wirken. Tucholsky sagte einst: „Die Riviera liegt da und sieht aus.“ Bei den Fans ist das so ähnlich.

Ach da war noch eine Sache: Durch die Demonstration einiger hundert Idioten und Verlierern unter den Linden war die Anzahl derer, die zwielichtige Kleidung und Symbole tragen dieses Mal besonders gering. Ich sage aber schon hier in Hinblick auf das nächste Spiel, dass ich lieber einen Opa mit seiner Thermoskanne voll Tee und Rum reinlasse als einen Kurzgeschorenen mit Nazisymbolen auf dem Arm. In diesem Sinne: Sport frei!
Karsten Görsdorf, Berlin, November 2000

Mittwoch, 31. Januar 2007

Fußball mal anders

Gestern war ich in einem Fußballstadion.
Da kann man, wenn einem die Fertigkeiten eigen sind, als Fußballer auf dem Rasen spielen oder als Zuschauer viel Geld bezahlen und sich die Erstgenannten ansehen. Man kann aber auch zu der Gruppe gehören, die den Zuschauer kontrolliert, bevor er sein tapfer verdientes Geld ausgibt, den Zuschauer hinausbittet, wenn er dem Mann huldigt, der unglücklicher Weise die Geschicke Deutschlands von 1933-1945 lenkte oder den Zuschauer erst gar nicht hineinlässt, wenn er schon Probleme mit dem Gleichgewicht hat, aufgrund unglaublicher Mengen Alkohols im Blut.
Ich gehörte zur letzten Gruppe, die dem Zuschauer mal ganz nahe sein durfte.

Ehrlicherweise gehörte ich dieser Gruppe freiwillig an, denn es gibt ein Problem, das die meisten Studenten vereint: Akuter Geldmangel. Da durfte ich dann so an die 1500 Männer und Jungs betatschen und ihnen Glasflaschen, Batterien, Taschenmesser und Deosprays abnehmen. Also wenn man einen Fetisch für keimige Klamotten und Mundgeruch hat oder ein Taschendieb ist, dann würde einem nichts mehr im Wege stehen zur großen Karriere als "Vorkontrolleur". Da mir aber alles o.g. fern liegt, wird das wohl nichts.

Lustig sind auch die ungefähr 1500 Kniebeugen, die man innerhalb zweier Stunden vollbringt, wenn die unteren Extremitäten des vor einem stehenden Fan überprüft werden.

Spannend wird es in diesem Job auch dann, wenn man mit seiner albernen Ordnerjacke in den Fanblock darf. Wohlgemerkt in den der auswärtigen Fans. Die Krönung ist allerdings, wenn diese Vorgänge genau dann vor sich gehen, wenn die Heimmannschaft gerade den Ausgleich schießt. So geschehen am gestrigen Tag. Die üblen Beschimpfungen der auswärtigen Fans möchte ich an dieser Stelle weglassen, denn die waren eben nicht mehr lustig.

Schon nach siebeneinhalb Stunden war der Spuk vorbei und wenn die Fußballfans in diesem Land nicht bis zum vierten November aussterben, ich endlich das superreiche Mädchen aus Zehlendorf kennen lerne oder ich im Lotto gewinne, ja dann erfährt dieser kurzer Bericht seine zwangsläufige Fortsetzung.

Karsten Görsdorf, Berlin, Oktober 2000

Dienstag, 30. Januar 2007

Die Lokomotive dampft nicht mehr

Am Mittwoch, dem 22. November 2000 verstarb Emil Zatopek im Prager Militärkrankenhaus.

Mit ihm starb einer jener großen Sportsmänner des 20. Jahrhunderts, die auf dem Höhepunkt ihrer Laufbahn noch nichts von Werbeeinnahmen, Spitzentechnologien und Fernsehauftritten wussten. Das macht sie nicht nur sympathisch, sondern auch unvergesslich. Bei Emil Zatopek war nicht nur der Laufstil, von einem französischen Journalisten einst als „Lokomotive von Prag“ bezeichnet, einzigartig und außergewöhnlich:
Zatopek, damals Oberst der Armee, trat im Prager Frühling dem Einmarsch der sowjetischen Truppen am 21. August 1968 entgegen. Das Bild, auf dem zu sehen ist, wie er in Uniform auf einen Panzer klettert, um mit einem Soldaten zu diskutieren, ist um die ganze Welt gegangen. Zatopek wurde aus Partei und Armee entlassen und in den folgenden Jahren arbeitete er im Uranbergbau. Im Jahre 1976 wurde Zatopek teilweise rehabilitiert.
Zatopek sprach sieben Sprachen und erzählte in ihnen eine Fülle von Geschichten und Anekdoten aus seinem ereignisreichen Leben.

Für Sportler wird er immer ein Vorbild bleiben, denn Zatopek lief nicht nur die 10000m in 28:24,2 min, nein er lief auch alle Rennen von vorne. Die Leistung im Jahre 1952 bei den Olympischen Spielen in Helsinki die 5000m, 10000m und den Marathon zu gewinnen, blieb unerreicht und wird es wohl auch bleiben. Seine Trainingsmethode Intervalltraining war damals noch ungewöhnlich, aber hat sich bis heute durchgesetzt.

Bei schlechtem Wetter lief Zatopek stets mit seinen Armeestiefeln und einem Rucksack.

Wenn mir am Sonntag also der eine oder andere Läufer ebenfalls in Stiefeln entgegenkommen würde, dann wäre er sicherlich geboren: Der inoffizielle Emil Zatopek Gedenklauf.

Karsten Görsdorf, Berlin, November 2000

Montag, 29. Januar 2007

„Ich bin 24 Jahre und zu alt für so einen Scheiß“

Wer mal eine richtige Studentenstadt sehen will, muss auf alle Fälle Rostock verlassen. Denn diese Stadt mag auf vieles spezialisiert sein (Touristen neppen, bekloppte Einwohner haben), aber bestimmt nicht darauf, die Universität, die Studenten und deren Bedürfnisse zu befriedigen. Daher machten wir uns auf den Weg, die Heimatstadt von Costas zu besuchen: Göttingen. Jedoch muss bemerkt werden, dass wir eigentlich nur wegen der leckeren Wurst aus Göttingen dort hinfuhren und nicht wegen unseres Studienfreundes.

Wer waren die sechs Irren, die an diesem Wochenende ins 47.417 Quadratkilometer große Niedersachsen reisten? Der Gastgeber, zugleich Geburtstagskind: Costas, ein BWLer, der um keinen Spruch verlegene, politisch hoch informierte, stolze Niedersachse. Die Eingeladenen: Joe, Jurist, Jünger der 50´er Jahre, Weltmann aus Hamburg. Leif, im Verlauf der Reise nur noch Albrecht genannt, Sportler, Freestyler in allen Lebenslagen aus Flensburg. Draxter, Sportler, mein Bild vom dummen, aggressiven und rassistischen Schwarzen Mann zerstörender Schweriner. Gregory, in sich ruhender, spendabler Stern – Buchholzer. Meine Wenigkeit.
Freundlicherweise holte uns der Vater von Costas „Heinz“ mit seinem VW T4 - Bus ab. Wir reisten mithin erster Klasse mit einem Kasten Bier und einem ordentlichen Skat – Gedresche. Bis auf den, durch einige Bier, ständig vorherrschenden Drang, ein Pippifax versenden zu müssen, erinnere ich mich an nichts Spektakuläres. Außer der Tatsache, dass schon zu dieser Zeit Sprüche gerissen wurden, die so in keinem Lehrbuch auftauchen.

Wir fielen wie eine Horde Barbaren in die Wohnung ein, verspeisten jedwede Nahrungsmittel, schändeten die Wohnungseinrichtung und vertrieben die rechtmäßigen Besitzer. So jedenfalls muss uns die Mutter von Costas empfunden haben, wie sie uns an unserem Abreisetag auch unmissverständlich klarmachte: „Es wäre schön, wenn ihr nicht wiederkommen würdet.“ (Eigentlich sagte sie dann noch: „Jedenfalls nicht in dieser Anzahl.“ – Aber das schockt nicht so sehr.) Trotzdem darf an dieser Stelle nicht unterlassen werden, die vorzügliche Beköstigung zu loben.

Später am Abend wurden wir von Gunnar abgeholt, an dem vor allem zwei Dinge auffielen: Seine nichtssagende Freundin und seine doch gewöhnungsbedürftige, hohe Stimme. Wir wanderten durch einen Wald und kamen nach einigen Minuten am Zentrum der Party für dieses Wochenende an. Ein Fachwerkhaus sollte uns beherbergen, in dem es unter dem Dach einen Raum für Festivitäten mit einer Bar gab. Den gesamten Verlauf der Party wiederzugeben, scheint mir nicht ratsam und wäre auch überflüssig, denn ein jeder, der jemals eine „Privatparty“ besucht hat, kennt ihn. Lahmender Anfang, Suff, sich langsam anbahnende Gespräche, besser werdende Musik, Suff, einige nicht zu einander passende Pärchen verlassen den Raum, Drogen, Suff, totale Musikverfehlungen, langsamer Aufbruch einzelner, Stress im Sinne einer Klopperei, die meisten gehen, der Rest leert den selbigen, letzte Aufbäumungsversuche, die Lichter gehen aus, Heimweg.
Ich möchte daher nur einige Fragen in den Raum stellen: Wieso säuft jeder in Niedersachsen Korn? Warum sind gut achtzig Prozent der Anwesenden Leute Berufalkoholiker? Warum erzählen die Leute immer die gleichen Sachen, so z.B.: „Mein Sohn, ich habe zum ersten Mal seit über zwei Jahren etwas übertrieben. Ich habe gebrochen.“ Wer prüft die Tatsache, dass Grundschulpädagoginnen alle unterbelichtet sind? Warum labern mich Mädels immer mit ihrem Beziehungskram zu? Wieso rennen die Leute immer mit meiner Sonnenbrille weg? Warum gibt es Leute auf einer Party, die niemand mitbekommt oder sieht? Haben Heimwege eine tiefere Bedeutung? Weshalb sehen Männer im Suff immer so scheiße aus? Wieso essen wir Deutsche so viel Wurst? Was ist der Grund für die exorbitant langen Schlangen vor dem Klo? Die meisten Fragen muss ich wohl an den Vatikan schicken, denn nur der Papst wird da adäquate Antworten finden können.

Nach einem gebührenden Heimweg mit Schlachtenbummlergesängen der befreundeten Fußballclubs, einem spektakulären Sturz, dem Versenden von Pipifaxen im Wald und nochmaligem Herumgrölen kamen wir in unserem Domizil an. Dort spielten sich dann „Szenarien ab, denen ich eigentlich nicht beiwohnen wollte“. Ich sagte dann auch den Satz, der diesem Text die Überschrift gab. Es wurde „Im Räuberwald“ gespielt – ein lustiges Würfelspiel, Stressmanöver gegen schon schlafende Kameraden gefahren, Schlafplatztauschen zelebriert und schlussletztendlich natürlich weiter gesoffen. Das Ende vom Lied war, dass zwei Leute auf dem Teppich pennten, einer gar auf den Kacheln und die anderen verbrachten ihren komatösen Schlaf in den dafür vorgesehenen Säcken. Joe sagte am nächsten Morgen nur noch einen Satz: „Als ich mich zu Albrecht legte.“
Ich erinnere mich nur allzu gut an den Blick der Mutter am nächsten Morgen bei ihrer Heimkehr. Blankes Entsetzen ob der Gestalten, die da rumlungerten.

Auf mein Drängen hin wurde der zweite Tag nicht nur zum Aufräumen und stark an jamaikanische „auf den Sack hauen“ erinnernde Phasen genutzt, sondern auch die nähere Umgebung erkundet. Am Abend machten wir uns in die Innenstadt auf, um den historischen Ortskern zu betrachten. Dazu lassen sich folgende Worte sagen: Göttingen ist wahrscheinlich die einzige Stadt, die wirklich und wahrhaftig nur wegen der Universität existiert. Überall sind Gebäudekomplexe modernerer oder einfach hässlicher Natur zu sehen und nicht zu vergessen: Studentenwohnheime. Ich habe noch nie an einem Tag so oft das Wort ´Studentenwohnheim´ gehört. Göttingens Zentrum ist hervorragend in Schuss und Fachwerkhäuser säumen das Straßenbild. Kein Wunder, denn die Stadt ist ja schon im Einzugsbereich des Harzes. Was mir wieder auffiel: West- und Ostdeutsche Ortskerne unterscheiden sich kaum von der Architektur her. Ein weiterer Aspekt endlich mit dem Ost – West – Gelaber aufzuhören. Nach einem abschließenden Bier in einer ordentlichen Kneipe ging es nach Haus. Dort wurde natürlich ein wenig dem Alkohol gefrönt und die von Frau Mama vorbereiteten Spaghetti verspeist. Während des Essens entgleiste Draxter vollständig und erzählte mindestens einhundert Scherze nach dem Muster: „Was ist 20 Meter lang und richt nach Urin?“ Dafür Danke!

Die Begleiter für den Abend waren Flo und Dörner. Der eine symbolisiert die gebildete Arbeiterklasse von Göttingen, der andere ist der Mann des Wochenendes. Zum ersten hat ihn niemand auf der Party am Freitag gesehen, dann schlief er zweimal mit uns auf der Erde, sagte zuweilen eigenartige Dinge, besprang Leif, war aber sehr hilfsbereit und verhalf uns zu guter Letzt zu einer pünktlichen Abfahrt. Den Abend verbrachten wir dann auf einer Black – Music - Veranstaltung in einem Uni – Gebäude. Anzahl der Studenten, abgesehen von uns: Null. Anzahl der wie immer stressig wirkenden Türken: 1000. Dafür aber auch ein paar recht ansehnliche Mädels, die wir im Schutze unseres großen schwarzen Mannes auch fotografierten. Costas gab sich die Kante und war am nächsten Morgen aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, mit uns die Heimfahrt anzutreten, die eigentlich einen eigenen Bericht verlangen würde. Hier die Kurzen Daten, Fakten und entsprechende Zitate: Fahrtdauer: 6 Stunden und 44 Minuten, Fahrtpreis pro Person 5 Euro 60 Cent, Umsteigebahnhöfe: Uelzen, Hamburg Hauptbahnhof, genutzte Züge: prähistorisches Modell, das wahrscheinlich schon 1835 zwischen Nürnberg und Fürth verkehrte, eine moderne Bahn und von Hamburg aus eine S-Bahn nach Rostock. Wichtige Zitate, die dann zuweilen tausendfach angebracht wurden: „Ist das hier so eine Reisegruppengeschichte, oder was?“ – „Albrecht kocht richtig.“ – „Hör´ auf mit den Karten zu kloppen!“ – „Ich möchte nicht, dass sich hier Szenarien abspielen, denen ich eigentlich nicht beiwohnen möchte.“ – „Wenn uns jetzt die Fahrkarte geklaut wird – dann vergesse ich mich.“ – „Habt ihr Gras?“ – „Dörner“ – „Diese Stadt stinkt nach Pippi und kann nichts!“ – „Herrlich!!!“ - „Ist Dieter Bohlens Machwerk nerviger als wir?“ – Antwort: „Kindergruppen sind noch schlimmer.“

Alles in allem wollte ich nach diesen fast 55 Stunden in Gemeinschaft nur noch alleine sein. Keiner, meine Person inbegriffen, konnte an diesem Wochenende nur mal für eine Sekunde die Fresse halten. Nicht ein Witz, der nicht gerissen wurde, keine peinliche Aktion wurde ausgelassen. Daher nun folgendes Fazit: Dank an Costas für alles was er für uns vor Ort getan hat, inklusive der fantastischen Stadtführung. Göttingen kann für eine Stadt dieser Größe einiges und ist sicherlich eine Alternative in Hinsicht auf ein längeres Studium. Dank an Draxter, der uns am Sonnabend sicher durch die Heerscharen von Türken brachte und keinen noch so bekloppten Witz ausließ. Dank an Leif, der trotz verpasster Liebesnacht ruhig blieb und nur innerlich kochte. Gregory, der wenigstens zuweilen Ruhe hineinbrachte, spendabel daher kam und den schwarzen Mann etwas zur Räson rief. Dank an Joe, der wahrscheinlich einen Sprechanteil von gut 85 Prozent während dieser Tage hatte und unser aller Sprüchereservoir um gute 100 Prozent angehoben hat.

Zu guter Letzt Dank an mich selbst, dass ich zwei Tage Suff, diese durchgeknallten Typen in Niedersachsen sowie in meiner Reisegruppe und sämtlichen hier nicht erwähnten Scheiß überstanden habe, um diesen Bericht schreiben zu können.

Karsten Görsdorf, Göttingen, Rostock, Januar 2003

Sonntag, 28. Januar 2007

Wochenendgestaltung der besonderen Art

So bin ich denn am Wochenende erstmals wieder seit vier Wochen nach Hause gefahren. In unsere Stadt - die nach meiner bisherigen Erfahrung die beste im deutschsprachigen Raum ist, um zu leben und um nach Hause zu kommen. Mit dem Zug über Zoo, Friedrichstraße, Alexanderplatz und Ostbahnhof zu fahren, egal ob im Hellen oder Dunklen. Das beeindruckt schon und lässt die Träne in der Knopfleiste fließen.

Am Freitag habe ich dann meine Lieben um mich gescharrt, die gerade da waren, wir haben Geschichten erzählt und dazu Apfelsaft getrunken. Später sind wir dann noch auf ein Hefe in eine Kneipe gefahren. Ebenfalls sehr schön, denn zum ersten Mal saß ich in einer Lokalität, die nicht zu einhundert Prozent zugeraucht war.

Am Sonnabend ging es dann meinerseits endlich mal wieder ins Theater mit meinen Eltern und meinem Bruder. Gegeben wurde Lessings Nathan der Weise auf der ehrenvollen brechtschen Bühne des Berliner Ensemble. Vor ausverkauftem Hause spielten die acht Schauspieler auf den Brettern, die die Welt bedeuten ihre Rollen souverän und zuweilen ergreifend. Bei der Ringparabel, die der weise Jude Nathan dem Muselmann vorträgt, ging der Anspruch nicht verloren, an die Sinnlosigkeiten der immerwährenden Religionskriege hinzuweisen.

Danach traf ich mich, um in der "Alten Kantine" auf dem Gelände der Kulturbrauerei ein wenig dem oft besprochenem Studentenleben zu frönen. Aber dazu kam es nicht. Denn nach einer Einparkeskapade hörten wir im Vorbeigehen am Kesselhaus uns bekannte Bässe und Beats. Es war das "Urban Bass Sound System" am Start und legte die jamaikanischen Rhythmen auf, die den Hörer zu Musikbranchenbegriffen wie Reggae oder Dancehall hinreißen lassen. Genial, denn wir waren wohl monate-, ja jahrelang nicht mehr auf solch einer Tanzaktion der karibischen Art. Eigentlich seit unserem Aufenthalt auf Jamaika nicht mehr. So ging es denn für fünf Euro hinein und was soll ich sagen: Wir waren wohl dafür zuständig, dass der Altersdurchschnitt deutlich nach oben ging. Schade eigentlich, aber nach dem ersten Hefe war das dann egal und zu den derben Bässen wurde das Tanzbein geschwungen, wie damals als ich zum ersten Mal in meinem Leben auf einem Ska - Konzert war und lernte was es heißt, ins Schwitzen zu kommen. Manche der Mädels waren echt hübsch und konnten sich sogar bewegen, aber ich möchte einfach nicht, dass die Mädchen meinem Bruder (14) im Bezug auf das Alter näher kommen als mir (23). So gingen wir dann gegen halb drei nach 150 Minuten durchgeschwitzt wieder hinaus und waren uns in folgenden Überlegungen einig: 1. Das Ende der großen Zeit dieser Art von Musik, muss wohl erreicht worden sein, als wir aus Jamaika wieder heim kehrten und der amerikanische Hip - Hop seinen Raubzug in Europa zu vollenden begann. 2. Wir sind zwar älter geworden, aber die Jungs und Mädels der "Neuen Generation" müssen noch einiges lernen in Sachen Tanzen, Trinken und Feiern. 3. Es tut gut Erinnerungen zu haben, an eine Zeit, als das dicke Hose-Gehabe nicht zwingend zur Kultur des "Weggehens" gehörte. 4. Denke niemals darüber nach, wie sinnfrei Tanzen ist, denn dann kannst Du sofort nach Hause gehen.

Am sonntäglichen Mittag setzte ich mich dann in einen Zug und fuhr wieder nach Rostock zurück. Warum so früh? Nun die Antwort ist leicht gegeben: Der FC Hansa Rostock spielte gegen den FC St. Pauli in einem Punktspiel der Fußballbundesliga. Wenn man nun bedenkt, dass ich ja eigentlich in Rostock geboren wurde, ich auch derzeit hier wohne und es ja auch ein "Ostverein" ist, der eigentlich Sympathie verdient hätte, müsste man annehmen, dass ich auf der Seite der blau-weißen Spieler der Hansa-Kogge gestanden habe. Der aufmerksame Leser bemerkt jedoch die Mehrfach-Konjunktivkonstruktionen im vorangegangenen Satz und schlussfolgert flink: Der Schreiberling stand wohl auf der anderen Seite. Schon im Zug wusste ich wieder wieso. Laut umherpöbelnde, stark nach Bier und Urin stinkende, bierbäuchige und mit gänzlich unkreativen Liedern behaftete sogenannte Fans, ließen dreieinhalbe Stunden Zug- zur Höllenfahrt werden. Das schreiende Kleinstkind vor mir war dagegen die reinste Erholung, zumal das kleine Wesen fähig war, ausdauernder und lauter zu brüllen, als die Fußballkloppis. Schon damals beim Wachschutz mochte ich sie nicht, aber jetzt darf ich sie wenigstens im Stadion beschimpfen und ihnen auch mal den "Effe-Finger" zeigen. Nun gut: Ankunft am Rostocker Hauptbahnhof. Dort warteten auch schon die netten BGS-Kollegen und sorgten für einen reibungslosen Abtransport der Fans in den nächsten Zug. Ein Schelm wer Böses dabei denkt. Ich traf mich dann mit meinen Kompagnons und wir gingen inkognito, will sagen noch ohne Schals, Kapuzensweatshirts offen zu tragen und keinem Kopftuch auf dem Kopf, zu unserem Auswärtseingang. Die heldenhafte Verschmückung des Ostseestadions durch zwei unermüdliche Freibeuter in der Vornacht soll hier Anerkennung finden. Nach einer Leibesvisitation, die nicht einmal im FBI-Headquarter mit dieser Intensität durchgeführt wird, ging es ins Stadion. Ich muss sagen, ich hatte lange Zeit keine Lust mehr in ein Stadion zu gehen. Aber so langsam kommt es zurück und die Flutlichtstimmung tat ihr übriges. So ein St. Pauli-Fanblock muss man sich wie einen Chor vorstellen, dem nie die Lieder ausgehen und der lautstark, aber melodientreu seine Stücke trällert. Wahrlich beachtlich, wie man mit knapp 1000 Kehlen so einen Lärm machen kann und das gesamte Heimmannschaftspublikum zum Schweigen bringen kann. Vielleicht ist die Mannschaft keine Bereicherung für die Bundesliga - die Fans des FC St. Pauli sind es ganz sicher. Einen Spielbericht will ich an dieser Stelle weglassen, nur so viel: Es spielte Not gegen Elend und dass solche Spiele durch zweifelhafte Schiedsrichterentscheidungen bestimmt werden, ist hinlänglich bekannt. So siegte denn Rostock mit 1:0. Von den sich selbst so betitelten Fans der Rostocker Mannschaft, war bis zur Minute als das Tor erzielt wurde nichts zu hören. Es sind und bleiben Schönwetterfans - das haben sie mit ihren Mitstreitern aus Berlin gemein. Wir Pauli - Fans hatten eine Menge Spaß beim Singen der Hymne "You never walk alone" und all´ den unzähligen "Schlachtenbummlerhits". Dass das Fernsehen, namentlich Sat.1, mit seiner Lobhudeleiform der Berichterstattung, aus dem Grottenkick noch eine ansehendliche Partie bastelte, wunderte mich nicht mehr. Aber die Tatsache, dass die Landespolizei sich ausschließlich um Rostocker Blödmänner kümmern musste, hätte Erwähnung finden können. So ende ich mit dem Ausspruch eines meiner Stehplatznachbarn, der einen Kollegen, der sich von den einfallslosen "Auf die Fresse" Rufen von Rostocker Halbstarken hatte provozieren lassen: "Nicht doch, wir sind Paulifans!"

Das wäre schon genug gewesen für ein Wochenende, aber der Sonntagabend hielt noch etwas in der Hinterhand für uns. Denn zwar verlor die deutsche Handballnationalmannschaft in der Verlängerung des Finals der Europameisterschaft gegen den Gastgeber Schweden, aber das soll die bis dahin gezeigte Leistung nicht mindern. Danke für eine Zeit toller Abende mit hochklassigem Handball – made in Germany.

Nachfolgend kam dann erst der Pizzamann und dann das American Football Superbowl - Spiel aus New Orleans. Ich verstehe im Prinzip nichts von diesem Sport, aber die Chearleader sind meist klasse Mädels. Die Vorabpräsentation von abgehalfterten Stars (Paul McCartney) oder psychisch labilen Püppchen (M. Carey) ging mir schon gewaltig auf den Senkel, aber die Halbzeitzelebrierung der Opfer vom 11. September wirkte dann endgültig aufgesetzt, überzogen patriotisch (wie auch Nasenpflaster in US-Flaggendesign) und schlussletztendlich peinlich. Da die schicken Mädels mit kurzen Röcken nicht allzu oft im Bild waren, die Spieler auch eher mit ihren Namen glänzten (Nutten) und die nicht abbrechen wollende Welle von Werbeblöcken auf uns zu rollte, beendeten wir dieses Experiment des Verstehenwollens von amerikanischem Lifestyle im dritten Viertel und ließen den Abend ausklingen, wie es sich in Rostock gehört:
Dönerstand – Doberaner Platz.

Karsten Görsdorf, Janaur, 2002, Rostock

Samstag, 27. Januar 2007

Sonntagabend

Mit zwei Omas, einem Bundeswehrsoldaten und zahlreichen gescheiterten Existenzen im Bus zu fahren ist nichts Besonderes. Aber mit ihnen vorher vierzig Minuten in der Kälte an der Bushaltestelle zu warten schon. So etwas geht natürlich nur an einem Sonntagabend, an dem die Ankunft und Abfahrt von öffentlichen Verkehrsmittel für gewöhnlich noch weniger mit dem Fahrplan zu tun hat als an den restlichen Wochentagen.

Wie muss man sich das in diesen Busfahrerkabuffs vorstellen? Werden dort Wahlen veranstaltet, wer die schärfste Pornosonnenbrille hat? Der Gewinner legt dann den Dienstplan fest, in dem er selber und sein Kumpel Toni nicht mehr vorkommen. Fallen eben zwei „Fuhren“ aus – wen stört es schon! Oder das lustige Schild Betriebsfahrt wird vorne im Sichtfenster eingeblendet. Dann kann Rolf mit seinem Bus neunzig Minuten wie ein Blöder in der Stadt rumfahren und niemand fragt nach seinem Auftrag. Arme Irre, die sich Sätze entlocken lassen, wie: „Ja Schatz, ich bin in zehn Minuten da, ich komme mit dem Bus.“

Der Fall im Tatort ist längst gelöst und der Abspann läuft, da steigt der brave Bürger gerade erst in den übel riechenden Vierachser ein.
Genial sind an einem Sonntagabend natürlich auch die Taschen- und Kofferbesitzer. Erst kommen sie in den Bus nicht rein und beim Rausgehen muss die gesamte Busgemeinschaft mithelfen, was dann die Abfahrt um eine weitere Ewigkeit verzögert. Die verbleibende Mischpoke im Bus nimmt wieder ihre Lektüre auf. Denn jeder liest irgendetwas. Selbst der streng riechende alte Mann, der mit zahlreichen Beuteln und Tüten unterwegs ist, hat noch eine Zeitung ergattert, die er sorgfältig von vorne nach hinten liest. Bei genauerem Hinsehen ist es die FAZ, vom vorherigen Mittwoch. Sekundäre Nutzung von Informationen nennt man das wohl besser nicht. Die Oma liest immer noch in Ken Folketts „Säulen der Macht“, die Bild am Sonntag – die offizielle Nachrichtenagentur Deutschlands am arbeitsfreien Tag – wird genauso häufig gelesen, wie die mitgebrachten und eben noch zugesteckten Liebesbriefe der Zuhausegebliebenen.

Im Prinzip wollen aber nur sehr wenige Leute am Sonntagabend das Haus verlassen. Denn da laufen die besten Filme im Fernsehen und man kann es sich so schön „gemütlich“ machen - mit Kerzenschein und Chips – einfach nur so auf der Couch rumliegen. Ich bin der festen Überzeugung, dass der in vorherigen Generationen fest verankerte Samstagnachmittagssex während der „Mittagsruhe“ ganz klar verschwunden ist und nunmehr auf den Sonntagabend verlegt wurde. Früher kam danach die Sportschau auf der ARD - heute Eurogoals auf Eurosport.

Ich persönlich wollte nur eben was abholen und musste dafür eine Luftlinienentfernung von zwei Kilometern zurücklegen. Ich brauchte dafür geschlagene achtzig Minuten.

Beim nächsten Mal laufe ich.

Karsten Görsdorf, Rostock, Januar 2002

Freitag, 26. Januar 2007

Drogen und andere Unzulänglichkeiten

Ping. Der übel riechende Fahrstuhl öffnet seine Pforten und ich entweiche ihm. Das flackernde, operationsraumähnliche Licht, wie es überall in Berliner Hochhäusern zu finden ist, weist mir den Weg zu der Tür, hinter der Freunde, Bekannte, Fremde ein Fest zelebrieren sollen.

Kling – Klong. Es öffnet sich die Wohnungstür und zur Begrüßung steht bereit, nein, eben nicht jemand den ich kenne, sondern irgendein blasses Geschöpf mit Kapuzensweater, einer in den Kniekehlen hängenden Hose und einer Menge Blech im Gesicht.

Sofort dringt ein tiefer Bass an mein Ohr und eine Wolke von noch unbestimmbaren Ingredienzien bahnt sich den Weg durch meine Atmungsorgane. Der Blick in die Küche offenbart ein Desaster, das jeder Beschreibung spottet und daher meidet man diese Zone besser. Auf dem Wohnzimmertisch liegt ein halbes jamaikanisches Hanffeld abgeerntet. Der Berg war so groß, wie wenn jemand Chips aus der Tüte in eine Schale schüttet.

Jeder greift zu – bezahlt wird durch Anwesenheit. Gesprochen wird wenig, wenn dann wird geflüstert oder herzhaft gelacht. Alle nicken nur zu dem Beat, der aus der Box kommt.
Keine Eile oder Hektik ist im Raum zu vernehmen, es ist eher mit dem angeblichen Ausspruch Heraklits zu umschreiben: panta rhei – alles fließt.

Ich bahne mir den Weg zum nächsten Zimmer und finde meine Freunde versunken in der Musik, Wolken von süßem Duft und einer guten Flasche Rotwein. Alle haben dieses angenehme Lächeln auf den Lippen, das durch nichts erschüttert werden kann. Die kühle Herbstluft strömt ab und zu durch den Raum und erleichtert für einen Moment das Atmen. Der optimale Sitz an diesem Abend scheint der Schaukelstuhl zu sein. „Es ist wie eine Reise, wenn man einmal von ganz vorne nach hinten wippt.“ Minuten werden zu Stunden, eine Nacht wird zur Woche. Jeder beobachtet sich selbst, zumindest jedoch das Lächeln des Nebenmannes oder achtet auf Kleinigkeiten, wie das Aufflackern der Lichter an der Musikanlage. Alle freuen sich über die gemeinsam verbrachte Zeit, obwohl eigentlich keiner was erzählt hat.

Mitten in der Nacht, das Musiktape ist zum sechsten Mal durchgelaufen, erheben wir uns und schleichen dem Ausgang entgegen. Wir verabschieden uns beim Gastgeber, suchen unsere Schuhe, Rucksäcke, Jacken und verlassen diesen Kleinod der Ruhe in Richtung hektischer Großstadt.

Drei Jahre später sieht die Situation etwas anders aus. Die WHO Definition für Drogen ist uns allen geläufig: „Eine Droge ist jede Substanz, die im lebenden Organismus eine oder mehrere seiner Funktionen zu ändern vermag.“ Wahrlich waren damals bei dem ein oder anderen die vitalen Funktionen verändert. Jetzt hat sich eher die bürgerliche Ansicht über den maßvollen Genuss von Alkohol durchgesetzt, der in Mitteleuropa trauriger Weise eher akzeptiert wird als Abstinenz.

Karsten Görsdorf, Berlin, April 2001

Donnerstag, 25. Januar 2007

Montagmorgen

Manche Leute ziehen ja selbst auf Feierlichkeiten und in Clubs am Wochenende ein Gesicht als ob es Montagmorgen ist und sie gerade einen Stapel Arbeit auf den Tisch respektive vor den Latz bekommen haben. Wenn es dann tatsächlich Montag ist, wissen diese griesgrämigen Menschen natürlich nicht mehr, wie es jetzt dreinzuschauen gilt. Da nerven sie dann durch übersteigerten Aktivismus. Beides ist Fehl am Platze: Doof aus der Wäsche gucken am Wochenende und Held der Arbeit bzw. des Gesprächs am Montagmorgen sein zu wollen.

Kürzlich verwehrte mir eine Gruppe solcher Menschen ein Schläfchen, um die noch ausstehende Viertelstunde bis zur Vorlesung optimal zu nutzen, weil sie ihre aufregenden Jahreswechselgeschichten und Vorbereitungen auf das immens wichtige Seminar bei Professor XY lautstark besprechen mussten. „Ach ich bin so stolz auf mich, denn ich habe das Referat heute schon fertig, obwohl ich es erst am Freitag halte.“ Respekt, mein lieber mein Mann, die hat es ja richtig drauf! Entscheidend ist aber nicht das Datum der Fertigstellung, sondern die Qualität des Ausgearbeiteten. Wir werden sehen!
Ein anderer Aktivist der frühen Stunde verbreitete seine Geschichten über die Nacht zwischen den Jahren. Da ging offensichtlich Einiges bei ihm. Schön Fondue in Familie und dann hat er wohl wahnsinnig einen drauf gemacht mit seinen 58000 Böllern. Und natürlich: Ui, Ui, Ui – selber noch welche gebastelt – die haben geknallt, das glaubt man nicht. Das hätte er ja alles lieb und gerne seiner Küchenuhr erzählen können, aber er tat es mit deutlich zu vielen Dezibel eine Reihe hinter mir. Ich dachte in diesem Moment an die Waffenauswahl des Bruce Willis in Pulp Fiction: Hammer, Baseballschläger, Kettensäge, Samuraischwert.

Nur wenige Momente später stimmte eine nervige Frauenstimme in den Kanon der Belanglosigkeiten ein und erzählte von ihrem Freund und dass sie ja die ganze freie Zeit bei und mit ihm verbracht hat (klar, wenn keine Familie da ist, bei der man aufgenommen wird, dann eben zum Stecher). Na und sie haben ganz viele tolle Sachen gemacht: Weihnachtsmarktbummel, Schlittschuhlaufen, Einkaufen gehen, einen Wellnesscentertag, zusammen Videos ausleihen (bestimmt Pretty Woman und Schlaflos in Seattle) und frühmorgens Frühstück im Bett. Fantastisch, also die ganze gequirlte Scheiße, die Männer nur mitmachen, um was ganz Besonderes zu sein und natürlich was fürs Bett zu haben. Hätte er sie zum „Wet-T-Shirt-Contest“, einem Biersuffwettkampf mitgenommen und „Jetzt wird es schmutzig“ - Filme ausgeliehen, wäre ich nicht nur wach gewesen, sondern hätte auch gleich versucht den Typen für die nächste Party einzuladen. So aber nicht!

Dann war der Albtraum zu Ende. Nicht etwa weil der Professor mit seiner Vorlesung begann und die Labertaschen die Backen mal für neunzig Minuten halten würden, was ein Segen gewesen wäre, nein, ein lustiger Kommilitone klopfte mir von oben auf die Schulter. Ich hob den Kopf und er sagte: „Ha, ha du hast einen Abdruck von deinem Pullover auf deiner Stirn.“ Klar, demnächst lege ich meinen Kopf direkt auf die Bank und habe dann diese ganzen sinnfreien Sprüche („Je größer die Insel des Wissens, desto größer die Entfernung zum Ufer der Verzweifelung“ oder „Ein Ferd hat fier Beiner und wenn mal keiner, umfallt.“) spiegelverkehrt auf meiner Stirn bzw. ich lege mein Gesicht in einen Gesichtsbräuner, um in Rostock nicht mehr aufzufallen.

Endlich begann die Vorlesung und die hyperaktiven Montagmorgenmenschen regten sich nur noch über die notorischen „Zu spät Kommer“ auf, bevor sie endgültig für den Rest der Woche verstummten. Ich freue mich schon darauf, sie nächste Woche wieder zu hören und am Wochenende in der dunkelsten Ecke der Kneipe oder des Clubs schmollen zu sehen.

Karsten Görsdorf, Rostock, Januar 2002

Dienstag, 23. Januar 2007

Der perfekte Tag

Vor gut einem Jahr sandte mir ein Mädel eine E-Mail, in der es um den perfekten Tag für einen Mann bzw. für eine Frau ging. Wer diese Tagesabläufe nicht kennt, sollte sie sich einmal besorgen und dann lesen, denn sie bürgen viel Freude in sich.

Ich erlebte nunmehr vor kurzem meinen eigenen perfekten Tag. Nicht wie in „Wolkenlos“ auf VOX, nein, eher wie die letzte Schlacht in „Platoon“. Der ganze Schlamassel am vorherigen Mittwoch begann mit dem fehlenden Klopapier. Nicht, dass keines da war, nein, aber es war nicht auf der Rolle, wo es hingehört. Da hatte doch glatt jemand vergessen, nach seinem letzten Gang, die Rolle aufzufrischen. Nun ist es keineswegs so, dass man deshalb gleich die Nerven verlieren und sich wieder für den Rest des Tages ins Bett legen sollte. Aber es ist auch nicht gerade die Traumsituation, die den Start meines Tages darstellen soll. Ich war mithin misstrauisch geworden. Wie sich herausstellen sollte zurecht.

Es ging nach der Zwischenstation Küche, in der ich wieder mal zu viele Haare meines Mitbewohners und seiner Freundin fand, zum Seminar „Syntax“. Der werte Professor begrüßte noch eine Woche vorher nur 15 Studenten. An jenem ominösen Mittwoch waren es über zweihundert. Ich saß hinten in der Ecke und wie selbstverständlich war mein hochklappbarer Tisch defekt.

Um mich von dieser Situation zu erholen, ging ich mit einem guten Mann, der einzige Leidensgenosse, mit dem ich Germanistik und Sport studiere, zu ihm nach Hause. Denn die nächste Vorlesung lag in zweistündiger Ferne. Bei ihm angekommen, wurde mir wieder gewahr, dass ich zur Zeit weder eine Frau habe, die so hübsch und intelligent ist, dass ich mit ihr zusammen wohnen möchte, noch so viel Talent am Fotoapparat besitze, wie ich stets zu glauben hoffte.

Bei der nachfolgenden Vorlesung auf dem Fensterbrett sitzen zu dürfen, war eine logische Schlussfolgerung der vorangegangenen Ereignisse. Auch die Busfahrt hatte noch ein kleines Präsent für mich bereit, weil ganz und gar lustige Menschen einen Kaugummi auf den Stuhl geklebt hatten. Dieser verweilte dann an meiner Hose und ich dachte schon zu diesem Moment an Handgranaten. Hier war der Kulminationspunkt jedoch noch lange nicht erreicht, da ich zunächst feststellen durfte, dass auf meiner Exkursionstour im Sommer weder Erholung noch fantastische Aussichten im weiteren Sinne auf dem Programm stehen würden. Wahrscheinlich war der leitende Professor früher Kampfschwimmer bei der Volksmarine oder ähnliches. Denn er sprach von einem zwanzig Kilometer langen Marsch den wir unternehmen werden, als ob er mal kurz eine Runde um den Block geht.

Was diesen Tag aber zu dem machte, was er jetzt ist, folgte im Anschluss, bei einer kurzen Ausruhpause vor dem Institut auf einer Holzbank. Meine liebe Exfreundin hatte zwei Tage zuvor angerufen und wollte mir etwas mitteilen, aber da ich ungern am Anfang eines Videoabends den stressenden Typen spiele, der den halben Film zerquatscht, sagte ich ihr, ich würde sie zurückrufen. In jener eben erwähnten Pause war der Moment gekommen, in dem ich die von mir ungeliebte Faselfunke nahm und dem kleinen Mann, der in meinem Handgerät arbeitet, befahl, die richtige Nummer zu wählen. Das Männchen tat es und schon eine kurze Ewigkeit später krachte mir ein Apfel, der just gegessen wurde, ins Ohr. „Tschuldigung, Du, aber ich esse gerade einen Apfel.“ Ich konnte froh sein, dass es nur ein Apfel war, aber dies wurde mir erst nach dem Gespräch klar.

„Wollen wir uns am Wochenende mal wieder sehen? oder „Tut mir leid, dass ich mich fast zwei Monate nicht gemeldet habe.“ Dies wären Sätze gewesen, die ich erwartet habe, aber es drangen folgende Worte in ungefährer Reihenfolge an mein Ohr: „Bevor wir uns das nächste Mal sehen, wollte ich dir nur sagen, dass ich jemanden kennen gelernt habe. Ich habe also wieder einen Freund. Hast Du damit ein Problem?“ Ich Idiot sagte dann auch noch in etwa: „Nee, kein Problem, lass mal bitte trotzdem treffen.“ Was man im Affekt nicht so alles tut. Vor Gericht wäre ich fein raus. Was hätte ich denn sagen sollen: „Falsch verbunden, Telefonstreich!“ Oder lieber: „Toll, freut mich, echt. Er ist bestimmt ein ganz Großer. Bestimmt auch eher aus deinem Berufsfeld. Bestimmt intelligenter als ich und ein guter Sportler.“ Respektive: „Nein, ich habe kein Problem damit, dass du, der ich einst in meinem jugendlichen Leichtsinn gesagt habe, ich würde dich gern einmal heiraten, mir per Telefon mitteilst, du hättest jetzt einen Neuen.“ Vielleicht auch: „Nein, ich habe kein Problem damit, dass der letzte Satz bevor du für längere Zeit ins Ausland gingst, lautete: ´Wir machen eine Pause.´ Pausen zeichnen sich bei mir durch einen Anfang aus (klar definiert) und vor allem durch ein Ende. Das ist jetzt auch definiert.“ Gut auch: „Wovor hattest du denn Angst? Mir deine Inkompetenz bei der Äußerung von Gefühlen und neuen Verhältnissen, in einem Brief zu offenbaren? Wusste ich schon vorher.“ Genial: „Du hättest berechtigte Ängste haben können, dass ich mir beim Wirt einen Whiskey bestelle und die Rechnung kommen lasse, wenn du es mir in einer Berliner Kneipe erzählt hättest. Aber per Telefon, das ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Farce.“

Zunächst wollte ich mir eine Flasche Jack Daniel´s hinter die Binde kippen. Aber es gab nur Johnny Walker.

Angetrunken, aber eigentlich noch guter Dinge, ging ich zu einer Vorlesung interdisziplinärer Art. Ich dachte bei mir, dass es ja nun nicht mehr schlimmer werden konnte. Doch weit gefehlt. Ich war bei Denkmalkunde und Landschaftspflege gelandet. Wahnsinn, genau das was ich zu diesem Zeitpunkt gebrauchen konnte. Ein Professor mit Märchenvorleserstimme referierte neunzig Minuten lang über ein Thema, welches einen Toten interessiert und selbst die herumgurrenden Flugratten (herkömmliche Tauben) rissen mich mehr vom Hocker. Mein einziger Antrieb dort hinzugehen, ist dem Onkel Grimm mal zu zeigen, dass wir Sportler einen ordentlichen Vortrag gestalten können, ohne einhundertfünfundzwanzigmal „Struktur“ zu sagen.

Als mein Pegel nach der Vorlesung sprunghaft anstieg und wir noch ein wenig mit dem Beachvolleyball im Park spielten, kerbte sich die Naht des Balls derart in mein Handgelenk ein, dass es aussah, als ob ich mir eine Gabel reingerammt hätte. Da konnte dann auch der Brief, den ich im Suff zu melancholischer Musik schrieb, aber nicht abschickte, nichts mehr anrichten. Denn wegen einer Frau mache ich Dummheiten solcher Art ganz bestimmt nicht. Dazu bin ich viel zu sehr verliebt in das Leben und mich selbst.

Jedenfalls war die Niederlage des FC Bayern München an diesem Abend gegen die arroganten Fußballer des FC Haargel, besser bekannt unter dem Namen Real Madrid nur folgerichtig. Denn an diesem Tag gewannen stets die anderen. Die Bösen.

Im Anschluss an das letzte große Spiel von Stefan Effenberg begaben wir uns noch zu einer Studentenwohnheimparty, bei der ich in die Tür hineinplatzend von einem Mädel als geile Fr(S)au sprach, die als Freundin der Frau bekannt ist, die mir seit geraumer Zeit sehr wichtig ist. Herzlichen Glückwunsch, großer Einstieg in den Abend!

Ach, eine Sache soll nicht unerwähnt bleiben. Von einem Laden mit fantastischen Verkäuferinnen erhielt ich meine neuen Kontaktlinsen auf Krankenkassenkosten, ergo kostenlos. Dafür danke und schöne Grüße an Fielmann, die mich haben jahrelang bluten lassen.

Abschließend lässt sich sagen: Ich werde irgendwann mit meiner großartigen, leider noch nicht existenten Freundin auftauchen, der FC Bayern holt nächstes Jahr die Champions League und es wird Tage wie diesen immer geben. Der Umgang mit ihnen lässt uns vielleicht erwachsen werden.

Karsten Görsdorf, Rostock, April 2002

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